Bafin-Chef Mark Branson: Seine Behörde verlangte im Sommer 2024, dass Lebensversicherer bei ihren Solvenzquoten neu rechnen sollen © picture alliance/dpa | David Young
  • Von Andreas Harms
  • 21.05.2025 um 12:46
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Zwar weichen die Zahlen von GDV, Franke und Bornberg und Bafin voneinander ab. Sie erzählen aber dasselbe: Lebensversicherer verzichten zunehmend auf Übergangsmaßnahmen und weisen ungeschönte Solvenzquoten aus. Und die wirken logischerweise erstmal ziemlich niedrig.

Natürlich könnte man bei dieser Zahl zunächst Schluckauf bekommen: Die sogenannte Solvabilitätsbedeckung der Lebensversicherer brach im Jahr 2024 um saftige 40 Prozent ein. 291 Prozent beträgt sie nun noch, wie aus dem Jahresbericht der Finanzaufsicht Bafin hervorgeht. Private Krankenversicherer kommen immerhin auf 389 Prozent, wenngleich es im Vorjahr ebenfalls ein höherer Wert war: 437 Prozent. Und bei Sache- und Unfallversicherern sind es 278 Prozent.

Der Wert der Solvabilitätsbedeckung ist auch unter dem Namen Solvenzquote bekannt. Sie zeigt, ob ein Versicherer auch in extremen Situationen genügend Eigenmittel (also: Geld) hat, um Verpflichtungen zahlen zu können. Um das maßgebliche eigene Geld zu ermitteln, zieht man vom vorhandenen Vermögen die künftigen Verpflichtungen ab. Eine Solvenzquote von 100 Prozent bedeutet, dass die Zahlpflichten auch unter großem Finanzstress gedeckt sind.

Die Zahlen weichen ab, je nachdem, wer sie erhebt und wie viele Unternehmen dort hineinfließen. So beobachtet die Bafin 78 Lebensversicherer und weist darauf hin, dass die Solvenzquote nur vorläufig ist. Sie kann sich ändern, weil im Laufe des Jahres neue Berichte mit neuen Angaben erscheinen.

Einen anderen Wert liefert der Map-Report der Rating-Agentur Franke und Bornberg – wenn auch mit ähnlichem Zungenschlag. Dort sank die Solvenzquote der Lebensversicherer von 664 auf 340 Prozent.

Und der Branchenverband GDV schreibt von 295 Prozent bei Lebensversicherungen. Bei Schaden- und Unfallversicherungen seien es 280 Prozent, wie im Vorjahr.

Was zunächst wie ein Erdrutsch wirkt, hat einen regulatorischen beziehungsweise mathematischen Hintergrund. Denn die nun gemeldeten Solvenzquoten sind einfach nur: weitgehend echt. Die Versicherer sind – fast alle – im neuen Aufsichtsregime Solvency II angekommen. Und zwar schneller als erwartet.

Übergangsfrist bis 2032

Solvency II gilt seit 2016 einheitlich für die Europäische Union (EU). Es enthält neue Bewertungsvorschriften für Vermögen und Verbindlichkeiten, denn nun gelten zum Beispiel echte Marktpreise (also auch Börsenkurse von Anleihen und Aktien). Und Risiken werden detailliert, aber ganzheitlich betrachtet.

Doch auch Brüssel wurde nicht an einem Tag erbaut. Und so bekamen die Unternehmen eine Übergangsfrist bis 2032, um Solvency II pur zu erfüllen. In der Zeit dürfen sie die geforderten versicherungstechnischen Rückstellungen künstlich senken. Dieser mathematische Kunstgriff bekam auch gleich einen schönen Namen: Rückstellungstransitional.

Das Transitional war vor allem deshalb nötig, weil Zahlungsverpflichtungen in ferner Zukunft kaum in die Gegenwart abgezinst wurden. Denn Marktzinsen lagen bis Ende 2021 unglaublich niedrig, weshalb die abgezinsten Zahlungsverpflichtungen unglaublich hoch lagen. Das Rückstellungstransitional sorgte dafür, dass die Versicherer diese hohen Pflichten trotzdem gut abdecken konnten.

Doch dann geschah ein Wunder, das in der Form kaum jemand erwartet hatte. Die Renditen an den Anleihemärkten und die Leitzinsen stiegen 2022 in bisher nie gekanntem Tempo und Ausmaß.

Hohe Marktrendite hilft der Solvenzquote

Das führte dazu, dass Versicherer ihre zukünftigen Verbindlichkeiten nun deutlich stärker abzinsen konnten. Die für Solvency II maßgeblichen Zeitwerte sanken kräftig (hier haben wir das genauer mit Beispiel erklärt). Es fiel den Häusern nun leichter, diese Pflichten abzudecken. Folglich stiegen die Solvenzquoten rasant enorm hoch.

Das erkannte auch die Bafin und meinte vorzeitig im Sommer 2024: Die Versicherer sollen das Rückstellungstransitional neu berechnen. „Das Rückstellungstransitional war daher in der Höhe meist nicht mehr angemessen und konnte sogar falsche Anreize setzen“, schreibt die Behörde in ihrem Jahresbericht. Ergebnis: Die meisten Versicherer nutzen es überhaupt nicht mehr.

Willkommen in Solvency II, möchte man deshalb meinen. Und das stimmt auch: Die neuen Zahlen sind nun zum größten Teil echt, weshalb Branche, Aufsicht und … Medien überhaupt nicht zucken. Nebenbei bemerkt gab es auch schon vorher eine Solvenzquote ohne Übergangs- und anderen Maßnahmen: die Basisquote.

Stattdessen geht es jetzt darum, welche Unternehmen eher schwach abschneiden. In ihrem Bericht lobt die Bafin, dass 2024 alle 78 Lebensversicherer ausreichend mit Solvenzkapital bedeckt sind. Die niedrigsten Werte zeigt der erwähnte Map-Report, hier sind sie (allerdings mit eventuellen Übergangsmaßnahmen):

  • Concordia Oeco – 103,9 Prozent
  • LPV – 122,9 Prozent
  • Athora – 145,1 Prozent

Aber auch die Spitzenreiter sind nicht uninteressant:

  • LV 1871 – 716,4 Prozent
  • WGV – 701,6 Prozent
  • SV Sparkassenversicherung – 673,9 Prozent
  • Ideal – 671,0 Prozent
  • Provinzial – 643,3 Prozent

Bleibt noch die Frage, wie es weitergeht. Der Leitzins sinkt seit einigen Monaten zwar wieder. Doch die langlaufenden Renditen am Anleihemarkt steigen, was nicht zuletzt an der neuen Lust auf Schulden in Europa liegt. Letzteres spricht dafür, dass die Lebensversicherer in Solvency II angekommen sind – und auch dort bleiben.

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Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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