Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Gewerblichen Rechtsschutz bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Kanzlei Jöhnke & Reichow
  • Von Redaktion
  • 19.01.2021 um 12:36
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Muss eine Versicherte eine unbestätigte Verdachtsdiagnose im Rahmen der Gesundheitsprüfung einer Dread-Disease-Versicherung angeben? Mit dieser Frage hat sich das Oberlandesgericht Hamm beschäftigt. Wie das Urteil lautete, erklärt Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke in seinem Gastbeitrag.

Das Textformerfordernis im Rahmen der Anzeigepflicht

Eine Anzeigepflicht bestehe nach Ansicht des Senats nur bei solchen Gefahrumständen, nach denen der Versicherer in Textform gemäß Paragraf 126b BGB gefragt hat. Die Wahrung des Erfordernisses setze dabei voraus, dass die Fragen in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise gestellt wurden. Außerdem müsse dem Antragsteller das Antragsformular auch in Textform bereitgestellt werden, damit der Dokumentationsfunktion des Paragrafen 126b BGB hinreichend Genüge getan wird.

Das Gericht führt weiter aus, dass die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des Textformerfordernisses wiederum gemäß Paragraf 69 Absatz 3 Satz 2 VVG den Versicherer treffe. Im Streitfall habe die Kundin insoweit unwidersprochen behauptet, bei Aufnahme des Antrags keine Kopie des Antragsformulars erhalten zu haben.

Keine spontane Anzeigepflicht der Versicherungsnehmerin

Das OLG Hamm vertritt des Weiteren die Auffassung, dass die Klägerin nicht verpflichtet gewesen sei, den im Zusammenhang mit ihrem stationären Aufenthalt wegen der Sehnerv-Entzündung ihr gegenüber geäußerten Verdacht auf Multiple Sklerose anzugeben. Diese Rüge des Versicherers verhelfe somit nicht dem Erfolg der Berufung. Denn keine der dem Antragsteller gestellten Gefahrfragen im Antragsformular der Beklagten beziehe sich auf eine solche Verdachtsdiagnose, so die Begründung des Gerichts.

Der Senat führt weiter aus, dass es hierbei zwar zutreffen mag, dass sich bei der Beantwortung der Fragen der Antragssteller, der durch verharmlosende oder bagatellisierende Angaben den Anschein erweckt hat, nur an einer unerheblichen und zeitnah vergehenden Erkrankung gelitten zu haben, nicht auf die objektive Erfüllung der Anzeigepflicht berufen kann. Das sei jedoch vorliegend nicht der Fall, da die Klägerin zum einen die Diagnose einer Sehnerv-Entzündung und zum anderen die damit verbundene stationäre Behandlung mitgeteilt habe.

Verlange man darüber hinaus von der Kundin eine Mittelung einer nicht erfragten und vorliegend unbestätigten Verdachtsdiagnose, so käme dies zur Annahme einer weitgehenden spontanen Anzeigepflicht. Eine solche Pflicht aus Treu und Glauben komme nach Ansicht des OLG Hamm nur dann in Betracht, wenn es sich um die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders grundlegender Informationen handelt, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen müsste.

Der Senat führte weiter aus, dass es hierbei solcher Gefahrumstände bedürfe, die so selten und fernliegend sind, dass dem Versicherer nicht vorzuwerfen ist, sie nicht abgefragt zu haben, um die mit Paragraf 19 Absatz 1 VVG bezweckte Abschaffung der spontanen Anzeigepflicht nicht zu unterlaufen. Dies komme bei einer unbestätigten Verdachtsdiagnose schon im Ansatz nicht in Betracht. Umso mehr gelte dies, als es sich vorliegend um den Verdacht gerade einer von 28 Erkrankungen handele, für welche die Beklagte bedingungsgemäßen Versicherungsschutz verspreche, so das OLG Hamm.

Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass der Versicherer selbst durch eine eindeutige Formulierung seiner Antragsfragen seinem Informationsbedürfnis Rechnung hätte tragen können. Letztlich bestehe der Sinn und Zweck des Paragrafen 19 Absatz 1 VVG gerade darin, dem Versicherungsnehmer das Risiko einer Fehleinschätzung hinsichtlich der Gefahrrelevanz abzunehmen.

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