KVProfi Thorulf Müller © privat
  • Von Redaktion
  • 10.12.2015 um 08:08
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Das Jahr neigt sich dem Ende. Zeit, mal Bilanz zu ziehen. Pfefferminzia hat KVProfi Thorulf Müller zur Zukunft der PKV, Beitragsanpassungen, Tarifwechsel und Tarifhygiene befragt. Müllers Fazit: In vielen Bereichen sieht es düster aus.

Aber das ist doch teurer als eine Voll-PKV?

Teurer? Wie kann etwas teurer sein, wenn exakt die gleichen Kosten erstattet werden? Die GKV plus Zusatz soll zu teuer sein. Wieso kann  die PKV als Vollversicherung das billiger? Wird da etwas am Sparen gespart? Sind wir wieder bei Kapitaldeckung und Rückstellungen, die im Markt von Fachleuten falsch verbalisiert werden?

Gibt es eine PKV, die bereits heute eine Tarifhygiene in Ihrem Sinne besitzt?

Ich kenne aktuell nur einen einzigen PKV-Versicherer, der weitestgehend meinen Ansprüchen genügt: Alte Oldenburger. Da droht aber auch schon die Situation mit der VGH-Krankenversicherung, denn eigentlich sind hier zwei Versicherer nebeneinander, und die Kunden können nicht wechseln. Hier ist aber der Gesetzgeber gefordert, der ja bei UKV und BBKK oder bei Deutscher Ring und Signal, sowie bei Continentale und Mannheimer auch schnellsten gefordert ist, für ein Tarifwechselrecht zu sorgen. Entweder durch Fusion oder durch eine Konzernanwendung.

Dann im weitesten Sinne noch die Debeka, die aber schon lange die meisten Sünden der anderen Versicherer auch begangen hat. Auch hier gibt es isolierte Tarifwerke, die nicht mehr aufgestützt sind. Das kann man an den Anpassungen sehr schön erkennen. Wir waren mal bei der Central auf einem sehr guten Weg tatsächlich die Tarife komplett zusammenzuführen. Leider wurde das aber eben nicht mehr umgesetzt und dazu noch eine Menge mehr falsch gemacht.

Gibt es noch etwas, was Sie an der PKV aktuell stört?

Die jährliche Behauptung, dass die Zahl der Vollversicherten zurückgeht, weil die Konjunktur sich so toll entwickelt und daher so viele Selbstständige in sozial- und krankenversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse wechseln würde. Ich frage mich immer, wie oft man chemisch gereinigt worden sein muss, um solche Unwahrheiten mit einem ernsten Gesichtsausdruck aussprechen zu können. Ich befürchte aber, dass der Realitätsverlust auf den Vorstandetagen der deutschen PKV bereits so weit fortgeschritten ist, dass die das überwiegend sogar wirklich selbst glauben.

Raten Sie heute noch jemanden zur PKV?

Als Versicherungsberater ganz eindeutig bei Beamten, bei echten Unternehmern mit entsprechendem Vermögenswerten und einer nachhaltigen sozialen und finanziellen Basis. Ich warne aber immer vor der Situation im Alter. Also nicht wegen des Geldes, sondern weil ich mich immer Frage, welche Exfrau den Unternehmer pflegt und wer dem dementen Ex-Unternehmer die Belege sortiert und mit den Ärzten die Verhandlung über Untersuchungsmethoden, Diagnostik und Therapie führt. Denn das ist die Aufgabe und Pflicht des Selbstzahlers und der entscheidende Vorteil eines Versorgungssystems, so wie es die GKV teilweise schon ist.

Gegebenenfalls können wir die Gruppe noch um einige Freie Berufe wie Ärzte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer erweitern. Eventuell auch um Apotheker oder erfolgreiche Architekten und Ingenieure.

Bei Arbeitnehmern und normalen Selbstständigen sehe ich die PKV eher kritisch, weil hier die Verläufe eher negativ sind und es bei Familiengründungnen und im Alter zu erheblichen Problemen kommen kann.

Und Zusatz- und Pflegegeldversicherungen?

Zusatzversicherungen sind ein großer Markt. Aber ich glaube auch, dass wir aktuell viele Fehlentwicklungen haben. Die Produkte passen oft nicht auf den echten Bedarf, sind nicht europafähig und für eine globalisierte Welt sind sie dann vollständig ungeeignet. Ich arbeite gerade bei den Menschen mit internationaler und globalisierter Ausrichtung gerne mit den Tarifen der EWR-Krankenversicherer.

Das ist auch die Herausforderung beim Pflegegeld. Es muss eine Lösung geben, wenn der Kunde später eben nicht in Deutschland lebt und keine Ansprüche im Sinne des SGB XI hat. Ich sehe aber auch die Vermittler im freien Markt in der Pflicht, den Bedarf beim Pflegegeld richtig darzustellen und endlich den Pflege-Bahr zu nutzen, der bis Eintrittsalter 50 hoch interessant ist und für die älteren Menschen oft der einzige und letzte Weg, Lücken zu schließen.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für die PKV ganz konkret?

Die PKV sollte endlich von Abschlussprovisionen auf laufende Vergütung umstellen. Das gilt bitte auch für alle Bestandsverträge, die aus der Haftung raus sind. 5 bis 10 Prozent laufende Courtagen müssten je nach Gesellschaft und Produkt möglich sein. Bei einigen Versicherern auch mehr als 10 Prozent. Die Abschlusskosten sind ja in entsprechender Höhe monatlich laufend in den Produkten einkalkuliert. Nettotarife ohne laufende Courtagen wären auch nett, auch wenn das natürlich über den Tarifwechsel nach Paragraf 204 VVG dazu führen kann, dass die Kunden von brutto in netto wechseln.

Den Standardtarif in Unisex-Kalkulation finde ich wichtig, damit die Kunden, die vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossen haben, auch in Unisex wechseln können, ohne dass sie von der PKV um das erworbene Recht des Standardtarifs beraubt werden.

Dann endlich Transparenz, also Offenlegung der Rechnungsgrundlagen. Ich höre da immer Betriebsgeheimnisse, dabei erzählen sich die Aktuare beim Bier diese Geheimnisse sowieso. Die PKV verweigert konkrete Angaben zum Rechnungszins, zur verwendeten Sterbetafel, zur Abgangsordnung, den aktuellen auslösenden Faktoren und so weiter. Alles Angaben, die wichtig wären um die unterschiedlichen Beiträge besser zu verstehen. Dann könnte man nämlich wirklich korrekt beraten.

Dann sollte die PKV endlich einmal anfangen so zu sein, wie sie mal war: Die Kraft investieren um darüber nachzudenken, wie man einem kranken und gegebenenfalls auch alten Kunden helfen kann, statt ständig immer nur einfach zu kürzen. Das ist teilweise abenteuerlich, was die PKV im Bereich Erstattung abliefert.

Auch die Durchsetzung der Pflicht der Ärzte bei Standard-, Basis- und Notlagentarif, sich an die GOÄ-Vielfachen zu halten, ist meines Erachtens eine Verpflichtung der PKV an sich. Da passiert einfach zu wenig. Das sind gesellschaftliche und sozialpolitische Pflichten, mit denen die PKV vom Gesetzgeber beliehen wurde.

Und wenn wir über Zusatzversicherung und Pflegegeld reden: Eine Öffnung für die Freizügigkeit in Europa und damit meine ich wirklich Europa und nicht nur EU/EWR/Schweiz, verbindliche Regelungen für die Anwartschaft bei internationaler Berufstätigkeit.

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