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Norman Wirth ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte. © Wirth Rechtsanwälte
  • Von Redaktion
  • 20.02.2023 um 11:53
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lesedauer Lesedauer: ca. 02:20 Min

Eine Frau möchte Leistungen aus ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung. Dafür wird ein Gutachten eingeholt. Mit dem Gutachter ist die Frau nicht zufrieden – sie fühlt sich nicht ernstgenommen. Wie das Oberlandesgericht Brandenburg in diesem Fall entschieden hat, berichtet Rechtsanwalt Norman Wirth.

Was ist geschehen?

Eine Physiotherapeutin beklagt nach langen Jahren zunehmende körperliche Beschwerden. Sie will deshalb ihre Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch nehmen – der Fall landet letztendlich vor Gericht. Die Richter wollen zur Aufklärung des Umfangs der gesundheitlichen Beschwerden ein Gutachten einholen und beauftragen einen Sachverständigen.

Zum Gutachten, das deutlich zu ihren Lasten ging, hat die Klägerin eine Vielzahl von Nachfragen zum Umfang und dem Inhalt der Untersuchung und den Untersuchungsergebnissen. Tatsächlich hatte der Gutachter sogar Untersuchungsergebnisse eines anderen Probanden eingestreut. Eine Nachfrage erfolgte auch unter Einbindung eines Zitats des Gutachters, in dem dieser eine „Exkursion der Bandscheibe der Klägerin“ vermerkt hatte.

Dem Gutachter gefielen die Nachfragen, die er zum Teil für „völlig unsinnige() Behauptungen“ hielt, gar nicht. Er sah wohl seine Kompetenz infrage gestellt und antwortete spitz: „Befunde seien nicht gleich Befinden. Diese Tatsache sei in jedem Lehrbuch der Orthopädie dargestellt, nicht jedoch bei ‚Dr. Google‘“. Bandscheibenexkursionen gebe es nicht. Es sei schwer vorstellbar, „dass Bandscheiben Ausflüge unternehmen“, zuweilen scheine beim Bevollmächtigten „der Google-Übersetzer völlig ausgesetzt (zu) haben“.

Diese Tonlage weckte bei er Klägerin dann erhebliche Zweifel an der Unbefangenheit des Gutachters. Sie stellte gegen diesen beim Landgericht einen Befangenheitsantrag.

Die gerichtliche Entscheidung

Das erstinstanzliche Gericht verwarf den Antrag der Klägerin. Die Wortwahl des Sachverständigen sei zwar überspitzt, hätten den Bezug zur Sachlichkeit aber nicht verlassen. Eine Besorgnis der Klägerin, der Sachverständige könne befangen sein, wäre unbegründet.

Hiergegen erhob die Klägerin, vertreten durch Wirth Rechtsanwälte, Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg, das den Beschluss des Landgerichts dann doch aufhob und dem Ablehnungsantrag der Klägerin gegen den Sachverständigen stattgab (Aktenzeichen 11 W 12/22).

Sprachliche Entgleisungen sowie beleidigende, abqualifizierende oder sonstige unsachliche – etwa ironische – Äußerungen, die sich nicht in schlichten kritischen Bemerkungen erschöpfen, in Richtung einer Partei oder ihrer Vertreter, sind in aller Regel geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des gerichtlichen Sachverständigen zu rechtfertigen. Dieser habe hier aber gegen das Mäßigungsgebot verstoßen.

Vom Standpunkt der Klägerin aus konnten die Äußerungen bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken, der Sachverständige habe ihr Vorbringen nicht ernst genommen und qualifiziere es ab. Er erweckte so den Eindruck, er reagiere (mit seiner unangemessenen Wortwahl) persönlich betroffen und emotional überempfindlich auf zwar harte, aber keineswegs unsachliche Kritik an seinem Gutachten.

Der Gutachter habe sich über die Klägerin lustig gemacht, als er anmerkte eine „Bandscheibenexkursion(en) gibt es nicht. Es ist schwer vorstellbar, dass Bandscheiben Ausflüge unternehmen.“ Übersehen habe er dabei, dass der Begriff „Bandscheibenexkursion“ statt des korrekten Begriffs „Bandscheibenextrusion“ Bandscheibenvorfall von ihm selbst verwendet worden war und eben nicht von der Klägerin.

Die Folgen

Durch die Entscheidung des OLG Brandenburg konnte der Rechtsstreit mit der Einholung eines neuen Gutachtens eines anderen Sachverständigen fortgesetzt werden, das dann von allen Seiten akzeptiert wurde. Die Versicherung erkannte den Anspruch der Klägerin schließlich in vollem Umfang an.

Bewertung

Die erstinstanzliche Entscheidung war keineswegs ungewöhnlich. Sie zeigte beispielhaft, wie schwierig es ist, mit einem Befangenheitsantrag Gehör zu finden. In einem Rechtsstreit ist es herausfordernd, als Laie medizinische, technische oder andere fachliche Sachverhalte darzulegen oder zu verstehen. Auch Richter sind hier meist keine Fachleute. Deshalb sind sie gehalten, sich und den Parteien durch Einholung von Sachverständigengutachten ein Verständnis für die fachliche Materie zu vermitteln.

Dabei haben alle Parteien selbstverständlich den Anspruch auf ein unabhängiges und unvoreingenommenes Gutachten. Hier ist es dann wichtig, dass der Gutachter auch die gebotene sachliche Distanz zu den Parteien wahrt.

Über den Autor

Norman Wirth ist Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Versicherungsrecht, Vertriebsrecht, Vermittlerrecht und Kapitalanlagerecht und Inhaber der Kanzlei Wirth Rechtsanwälte in Berlin.

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