Jochen Ruß ist Finanzwissenschaftler und Geschäftsführer beim Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa). © ifa
  • Von Oliver Lepold
  • 22.11.2023 um 14:56
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Wie schätzt ein Aktuar die laufenden Regulierungsvorhaben ein? Jochen Ruß, Geschäftsführer beim Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa), spricht mit Pfefferminzia über seine Sicht auf die geplante EU-Kleinanlegerverordnung und die Reformpläne für die geförderte Altersvorsorge.

Pfefferminzia: Kleinanleger sollen durch ein mögliches Provisionsverbot besser geschützt werden. Wie stehen Sie aus wissenschaftlicher Sicht dazu? 

Jochen Ruß: Aus fachlicher Sicht halte ich ein Provisionsverbot für einen klaren Fehler. Das Provisionsmodell sorgt nämlich für einen sozialpolitisch wünschenswerten Umverteilungseffekt. 

Inwiefern? 

Ruß: Reiche Kunden, die große Verträge abschließen, zahlen in der Regel höhere Provisionen und subventionieren so die Beratung ärmerer Menschen, die kleinere Verträge abschließen. Wir haben anhand echter Verträge errechnet, dass man bei kürzerer Laufzeit über 200 Euro pro Monat sparen muss, um mit einem Honorar günstiger wegzukommen als mit dem Provisionsmodell. Bei längeren Laufzeiten wären es immer noch über 100 Euro. Kleinanleger, die durch die Kleinanlegerstrategie geschützt werden sollen, fahren also mit dem Provisionsmodell in aller Regel günstiger. Dazu kommt, dass gerade Menschen mit geringer finanzieller Bildung einfach nicht bereit sind, für Beratung zu bezahlen. Dabei haben sie die Beratung am dringendsten nötig und müssen sparen, weil ihnen sonst Altersarmut droht. 

Wäre auch ein Provisionsdeckel kontraproduktiv? 

Ruß: Mich stört, dass oft der Eindruck erweckt wird, bei Provisionen gebe es so viele Provisionsexzesse. Dabei sind aktuell kaum solche Fälle bekannt. Wenn es sie gibt, müssen sie natürlich sanktioniert werden! Ich habe umgekehrt noch nie davon gehört, dass sich jemand Gedanken macht, wie hoch denn eine Provision mindestens sein muss, damit eine gesetzeskonforme und qualitativ hochwertige Beratung zu einem angemessenen Stundensatz für den Berater führt. Mein Hauptargument gegen einen pauschalen Provisionsdeckel ist aber, dass ein einheitlicher für die unterschiedlichen Vertriebswege nicht sachgerecht sein kann. In der Ausschließlichkeit übernimmt der Versicherer viele Aufgaben. Daher muss der Vertreter einen geringeren Teil der Wertschöpfungskette aus den Provisionen finanzieren als beispielsweise ein Makler. Ein pauschaler Deckel kann also nicht sachgerecht sein. Folglich kann eine sachgerechte Lösung auch nicht einfach sein. 

Die Fokusgruppe Private Altersvorsorge hat Reformvorschläge unterbreitet. Welche Ideen für die Riester-Rente befürworten Sie? 

Ruß: Mir gefällt, dass die Fördersystematik auch künftig ähnlich ausgestaltet sein soll wie bisher. Das trägt dazu bei, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich verkleinert. Bei einer steuerbasierten Förderung würde sie hingegen größer. Die künftige Riester-Förderung macht das zwar nicht mehr ganz so gut wie bisher, wäre aber (wenn sie kommt wie geplant) deutlich einfacher, sodass ich unterm Strich das Positive sehe. Außerdem finde ich gut, dass die 100-prozentige Beitragsgarantie wegfällt, weil sie eine sehr starke Renditebremse war. Dort finde ich aus fachlicher Sicht weitgehend sinnvoll gelöst. Die Zulassung chancenreicherer Produkte in der Ansparphase ist also auf der Plus-Seite zu verbuchen. 

Ist die vorgeschlagene Abkehr von der lebenslangen Rente problematisch? 

Ruß: Ich finde es richtig, das gewisse Ausnahmen von der Verrentung erlaubt werden, zum Beispiel zur Tilgung einer Immobilie. Immer dann, wenn keine Ausnahme vorliegt, darf man sich das Geld nicht auf einen Schlag auszahlen lassen. Auch das finde ich gut. Wenn dann aber der Eindruck erweckt wird, dass ein Auszahlplan bis zum Alter 85 für fast alle Menschen lebenslang ausreicht, ist das falsch! Von den heute 67-Jährigen werden mehr als die Hälfte der Männer und rund zwei Drittel der Frauen älter als 85. Das heißt, sie müssten dann im hohen Alter plötzlich den Lebensstandard einschränken, was sehr belastend sein kann. 

Was würden Sie denn für die Auszahlphase sinnvoll finden? 

Ruß: Ich finde es zielführend, dass wir bei der lebenslangen Rente bleiben, dann aber (genau wie in der Ansparphase) chancenreichere Anlagen ermöglichen. Denn die Inflation hört ja nicht auf, wenn man in Rente geht! Die garantierte Rente in Euro müsste hierzu etwas abgesenkt werden. Das ermöglicht dann eine höhere Aktienquote. Dies sorgt für besseren Inflationsschutz, höhere erwartete Renten und höhere erwartete Rentensteigerungen. Es heißt also nicht mehr, entweder ein lebenslanges Einkommen beim Versicherer oder ein chancenreiches Produkt bei der Fondsgesellschaft. Sondern stattdessen ein Versicherungsprodukt in dem mehr Fonds drinstecken. Genau solche Produkte waren bisher bei Riester explizit verboten.

Und jetzt werden sie möglich? 

Ruß: Hierzu steht leider nichts im Abschlussbericht der Fokusgruppe. Es soll fondsgebundene Auszahlpläne geben (die nicht lebenslang sind) und auch weiterhin die lebenslange Rente geben. Aber ob explizit bei der lebenslangen Rente auch die bisher nicht zulässigen fondsgebunden Varianten zulässig sein werden, lässt sich aus dem Abschlussbericht der Fokusgruppe Private Altersvorsorge nicht herauslesen. Hier müssen wir auf den Gesetzentwurf warten. 

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Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

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