Amazon-Lieferant bringt Pakete: Der Online-Händler gab im Dezember eine Dollar-Anleihe mit zehn Jahren Laufzeit und einer Rendite von etwa 4,5 Prozent pro Jahr heraus © picture alliance / empics | James Speakman
  • Von Andreas Harms
  • 19.12.2022 um 11:15
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Für die einen ist es ein Crash, für die anderen die wahrscheinlich wichtigste Normalisierung der Welt. Tatsächlich bereitet es wieder Freude, sich die aktuellen Anleihemärkte anzusehen. Sie zeigen nämlich wieder etwas, was sie seit über zehn Jahren nicht mehr geboten haben.

Umso kurioser wirkt es, wenn Experten plötzlich sogar wieder von Kursgewinnen reden. Zum Beispiel Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege von J.P. Morgan Asset Management. Er hält es für möglich, dass Investment-Grade-Anleihen im Jahr 2023 sogar Aktien schlagen. Bei einer Online-Konferenz erläuterte er auch, wie er darauf kommt: Eine Voraussetzung ist, dass die Inflation im kommenden Jahr deutlich sinkt – gegen Jahresende sogar auf etwa 3 Prozent. „Die Angebotsengpässe verschwinden“, sagt Galler und verweist zum Beispiel auf den Container-Index. Der ist von seinem Höchststand bei mehr als 10.000 Punkten auf nunmehr etwas über 3.000 Punkten regelrecht untergegangen. Das wirkt sich auf das Angebot aus. Wieder ein Beispiel: Waren Fahrräder in der Corona-Pandemie noch knapp, sind die Lager jetzt voll. Gallers These: „Wir steuern auf einen Angebotsüberschuss zu.“ Und der könnte zu Preiskämpfen führen.

Sinkende Inflation bedeutet aber wiederum weniger Druck auf Zentralbanken, die Zinsen weiter zu erhöhen. Und sie bedeutet weniger Druck auf Anleiherenditen zu steigen. Wenn aber Anleiherenditen nicht mehr steigen, sondern vielleicht sogar sinken, dann gehen die Kurse seitwärts und lassen den Carry übrig. Oder sie steigen sogar und liefern zusätzliche Gewinne, zumindest vorübergehend. Das drückt aber wiederum den Carry fürs Jahr 2024 – es ist manchmal nicht einfach. Nirgendwo drücken gegenwärtige Gewinne so stark auf zukünftige Gewinne wie bei Anleihen.

Rezession drückt auf Hochzinsanleihen

Und warum vor allem Investment-Grade-Anleihen? Das liegt daran, dass im kommenden Jahr eine Rezession um die Ecke biegt. Gepaart mit den gestiegenen Zinsen wird sie vor allem auf weniger stabile Schuldner drücken. Die Ausfallraten dürften also vor allem im Segment der Hochzinsanleihen (High Yield Bonds) steigen, und die Kurse dort nicht so stark laufen wie bei den besser aufgestellten Schuldnern.

Doch das betrifft lediglich das kommende Jahr. Für die Zeit danach – so viele Experten übereinstimmend – ist die Zeit mit niedrigen Zinsen erst einmal vorbei. Allein durch die knappen Arbeitskräfte und hohen Energiepreise werde sich die Inflation bei 3 bis 4 Prozent einnisten, heißt es. Die Anleihemärkte stellen sich darauf ein und erfahren zusätzlichen Aufwärtsdruck auf die Renditen durch zusätzlich ausgegebene Anleihen (Staaten verschulden sich ja weiter massiv) und Zentralbanken, die ihre Bilanzen (eventuell) leeren. Die EZB hatte derartiges bereits angekündigt (siehe auch hier).

Soweit Theorien und Thesen – alles wirkt irgendwie ganz plausibel. Aber ob es tatsächlich so kommt, wissen wir erst in zwölf Monaten.

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Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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