Lars Thomsen ist Zukunftsforscher und Gründer von Future Matters. © Lars Thomsen
  • Von Manila Klafack
  • 16.02.2018 um 09:20
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Der Schweizer Zukunftsforscher Lars Thomsen untersucht Trends und ermittelt sogenannte Tipping Points. Das ist der Zeitpunkt, an dem eine bisher gradlinige Entwicklung eine ganz neue Wendung nimmt. Im Gespräch mit Pfefferminzia erzählt er von den Ergebnissen seiner Beobachtungen.

Wo liegen die größten Chancen und Risiken in dieser veränderten Welt?

Der Klimawandel stellt derzeit wohl das größte Risiko dar, da dieser sich nicht rückgängig machen lässt und nachhaltig die Lebensbedingungen auf der Erde verändert. Dies hat langfristig auch enorme volkswirtschaftliche Auswirkungen, die weitaus höher sind, als ein sinnvoller Klimaschutz heute. Ressourcen wie fruchtbarer Boden werden knapp, extreme Wettersituationen kennzeichnen zunehmend unseren Alltag. Und das Ganze wird sich wahrscheinlich noch beschleunigen.

Chance und Risiko zugleich betrifft den Trend der Robotik. Nicht nur in Fabrikhallen werden künftig Maschinen die Jobs der Menschen übernehmen: Die nächste Generation von Robotern kann gehen, hat Arme, Hände, Augen und Ohren: Humanoide Roboter werden in den kommenden zehn Jahren so günstig werden wie heute ein Kleinwagen. Viele Routinetätigkeiten, für die man bislang Menschen beschäftigen musste, können dann günstiger, schneller und besser von solchen Maschinen erledigt werden. Ob die Reinigung von Zimmern im Hotel oder im Haushalt, dem Zustellen von Paketen oder Betreuung und Pflege im Alter: Der Markt für Roboter kann bereits in zehn Jahren größer sein, als der Automobilmarkt heute. Andererseits muss den Menschen, die diese Berufe bislang ausgeübt haben, Alternativen gezeigt werden.

Problematisch ist, dass Roboter oder künstliche Intelligenz keinen Lohn für ihre Arbeit beziehen, und somit auch keine Lohnsteuer oder Sozialabgaben zahlen. Es stellt sich in Zukunft die Frage, ob wir nur menschliche Arbeit besteuern wollten, oder auch die von Maschinen – und auch, wie wir diesen Teil der volkwirtschaftlichen Wertschöpfung gerecht auf die Bevölkerung verteilen wollen.

Doch bei der Arbeit geht es für die meisten Menschen ja nicht nur ums Geldverdienen, sondern jeder möchte sich als nützliches Mitglied der Gesellschaft empfinden und Sinn, Bestätigung und Wertschätzung in seiner Tätigkeit finden. Unserer Meinung nach führt diese Entwicklung zu einer Zerreißprobe für viele Gesellschaften:  Während sich wenige Fachleute frei aussuchen können, wo, für wen und zu welchen Konditionen sie weltweit an der Zukunft arbeiten wollen, leben andere mit der zunehmenden Furcht, ihren Job zu verlieren. Die Gesellschaft und die Politik haben die Aufgabe, trotz dieses dramatischen Wandels die Kluft zwischen arm und reich nicht größer werden zu lassen. Der Druck, der von den Bürgern aufgrund von Ängsten vor einer ungewissen Zukunft ausgeübt wird, spiegelt sich bereits heute in den Wahlergebnissen vieler Länder wieder – aber es gibt noch keine Lösungen.

Stichwort Kommunikation: Wie wird es um die sozialen Medien bestellt sein? Welche wird es noch geben, welche nicht?

Prognosen zu konkreten Unternehmen machen wir als Zukunftsforscher nicht. Die sozialen Netzwerke per se bedienen das Grundbedürfnis der Menschen, sich mitzuteilen und Erfahrungen zu teilen. Wir sind soziale Wesen, die gern Geschichten erzählen und Geschichten hören. Mit diesen Medien stehen Plattformen zur Verfügung, ein größeres Publikum zu erreichen. Zudem haben sie einen immensen Einfluss darauf, wie wir Wissen teilen. Auch hier entwickeln sich die bisherigen Angebote weiter. Künftig wird jeder eine Art virtuellen Assistenten haben, der uns viele Routinetätigkeiten und Zeitfresser abnehmen wird – vom Sammeln und Zusammenstellen von Belegen für die Steuererklärung über das Beantworten von E-Mails bis hin zur aktiven Unterstützung in fast allen Belangen des Alltags. So gewinnen wir Zeit – für wesentlichere Dinge.

Das klingt doch alles sehr nach Science Fiction, oder?

Tatsächlich arbeiten Filmemacher dieses Genres oft mit Zukunftsforschern zusammen. Da es sich letztlich jedoch um Filme handelt, wird dabei gern dramatisiert oder übertrieben – damit es eine spannende Story ergibt. Doch was uns, ganz ähnlich wie bei den Märchen der Gebrüder Grimm bleibt, ist die Moral aus der Geschichte. Bei den Szenarien von Filmen heißt das, was können wir heute tun, damit es in der Welt von morgen kein böses Erwachen gibt? Wir gestalten unsere Welt selbst. Wenn wir Dinge vor- und durchdenken, erkennen wir mögliche Risiken. So gesehen hilft uns Science Fiction durchaus, frühzeitig Themen zu identifizieren um klug zu agieren.

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Manila Klafack

Manila Klafack war bis März 2024 Redakteurin bei Pfefferminzia. Nach Studium und redaktioneller Ausbildung verantwortete sie zuvor in verschiedenen mittelständischen Unternehmen den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.

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