Der Hamburger Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. © Kanzlei Jöhnke & Reichow
  • Von Redaktion
  • 30.04.2021 um 11:48
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Das Oberlandesgericht Frankfurt musste sich damit befassen, ob die Frage des Krankenversicherers bei Vertragsabschluss nach bestehenden „Anomalien“ zum nachträglichen Ausschluss der Kostenübernahme für kieferorthopädische Behandlungen berechtigt. Wie die Richter entschieden, berichtet Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke in seinem Gastbeitrag.

Unklare Frage nach „Anomalien“

Das Gericht stellte letztendlich fest, dass die Frage in einem Antragsformular für den Abschluss einer privaten Krankheitskostenversicherung nach „Anomalien“ in Bezug auf Zahnfehlstellungen dem künftigen Versicherungsnehmer in unzulässiger Weise eine Wertung abverlange und daher unklar sei. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei nämlich nicht erkennbar, was unter einer Anomalie im Zahnbereich zu verstehen sei.

Nach der Definition im Duden sei eine Anomalie eine Abweichung vom Normalen, also eine körperliche Fehlbildung. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer dürfte diesbezüglich vielmehr eine Missbildung, eine Behinderung verstehen, als eine Zahn- und Kieferfehlstellung, so das Gericht. Auch der Zusatz in der Antragsfrage, der auf Implantate verweise, spreche für diese Ansicht.

Des Weiteren führt das OLG aus, dass dem Begriff der Anomalie eine gewisse Dauerhaftigkeit immanent sei. Doch der Zahnstatus der neunjährigen Tochter des Klägers unterliege aufgrund fortschreitenden Wachstums und Zahnwechsels naturgemäß Änderungen. Der Versicherer könne demnach die Kostenübernahme für eine kieferorthopädische Behandlung unter Berufung auf eine Anzeigepflichtverletzung durch den Versicherungsnehmer nicht nachträglich ausschließen.

Auswirkungen auf die Vermittler-Praxis

Die Entscheidung des OLG Frankfurt überzeugt im Ergebnis und weist eine sehr hohe Relevanz für die Versicherungsbranche auf. Denn die Frage und das Problem, wann eine Anzeigepflicht vorliegt und wann eine solche nicht begründet ist, bleibt weiterhin umstritten (siehe Beitrag zur „spontanen Anzeigeobliegenheit“).

In der Vermittler-Praxis stellt sich relativ oft die Frage, was denn nun in einem Versicherungsantrag anzugeben ist. Festzuhalten ist jedoch, dass unklare Fragen im Antragsformular zum Abschluss eines Versicherungsvertrages keine Anzeigepflicht begründen können, da sie dem künftigen Versicherungsnehmer in unzulässiger Weise eine Wertung abverlange.

Damit bleibt festzuhalten, dass es unabdingbar ist, jeden Versicherungsfall anwaltlich überprüfen zu lassen und frühzeitig eine kompetente Beratung durch versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, um eine spätere Leistungsablehnung im Rahmen der vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten bestenfalls zu vermeiden.

Über den Autoren

Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Rechtsschutz & IT-Recht, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.

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