Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Gewerblichen Rechtsschutz bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
  • Von Redaktion
  • 09.02.2021 um 12:43
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Bei einem Kind wird eine Entwicklungsstörung festgestellt, die die Kriterien eines Pflegefalls erfüllt. Die Eltern wollen daraufhin Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung, die sie für das Kind abgeschlossen haben. Der Versicherer verweigert die Zahlung und wirft den Eltern arglistige Täuschung vor. Wer hat Recht? Das musste das OLG Celle entscheiden. Über das Urteil berichtet Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke in seinem Gastbeitrag.

Streitentscheid des OLG Celle

Nach Auffassung des OLG Celle sei der herrschenden Meinung darin zuzustimmen, dass sich über die Anzeigepflicht aus Paragraf 19 Absatz 1 Satz 1 VVG hinaus aus Treu und Glauben auch eine Aufklärungspflicht hinsichtlich solcher Umstände ergeben können, nach denen der Versicherer nicht oder nicht ordnungsgemäß in Textform gefragt habe. Grundsätzlich müsse sich jedoch hierbei der Versicherungsnehmer darauf verlassen können, dass der Versicherer die aus seiner Sicht gefahrerheblichen Umstände erfragt. Diesem obliege nach gesetzlicher Wertung die Mitteilung der Umstände, die er für gefahrerheblich erachtet. Versäume er dies, könne es dem Versicherungsnehmer nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angelastet werden, wenn der Fragenkatalog für ihn abschließend ist und er weiter gehende Überlegungen, die den Versicherer interessieren könnten, dazu nicht anstellt.

Insofern sei der überwiegenden Auffassung zuzustimmen, dass eine „spontane Anzeigepflicht“ nur bei Umständen bestehe, die zwar offensichtlich gefahrerheblich, aber so ungewöhnlich sind, dass eine auf sie abzielende Frage nicht erwartet werden könne. In dem vorliegenden Fall sei nach dieser Maßgabe jedoch nicht von einer Anzeigepflicht hinsichtlich der Entwicklungsverzögerung des Kindes auszugehen, so feststellend das Oberlandesgericht.

Entwicklungsverzögerung gefahrerheblich für eine Pflegeversicherung?

Indes erscheine es dem Gericht bereits fraglich, ob im vorliegenden Fall die Entwicklungsverzögerung aus Sicht eines Versicherungsnehmers offensichtlich gefahrerheblich für eine Pflegeversicherung ist. Nach Ansicht des OLG Celle dürfte nämlich eine frühkindliche Entwicklungsverzögerung in den meisten Fällen „auswachsen“, ohne dass sich hieraus das Risiko einer Pflegebedürftigkeit ergebe. Allerdings könne eine solche Erkrankung auch auf einer Ursache beruhen, die bei Vorliegen zweifellos gefahrerheblich wäre (zum Beispiel Hirnschädigung aufgrund Sauerstoffmangels bei der Geburt), so das Gericht.

Es erscheine aber zweifelhaft, ob dies genüge, um in diesem Fall eine Gefahrerheblichkeit trotz des Unterbleibens der Frage im Fragenkatalog anzunehmen. Das OLG Celle betonte jedoch, dass dies im Ergebnis dahingestellt bleiben könne, da eine Entwicklungsverzögerung weder sehr selten noch ungewöhnlich ist, sodass es einer Frage des Versicherers hiernach bedürfte.

Das Gericht führte weiter aus, dass ein Versicherer, der eine Pflegeversicherung auch für Kleinkinder anbiete, ohne Weiteres auch mit einer Entwicklungsverzögerung des Kindes rechnen müsse. Dies sei bereits daran zu erkennen, dass nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten eine Entwicklungsverzögerung sogar bereits im System der als Ablehnungsgrund hinterlegt war. Hat der Versicherer dennoch ohne nachvollziehbaren Grund danach nicht gefragt hat, so handele er seinerseits treuwidrig, wenn er hierauf nun die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung stützen möchte, nachdem sich das versicherte Risiko realisiert hat. Selbst wenn man eine Aufklärungspflicht annehme, fehle es nach Ansicht des Gerichts im vorliegenden Falle jedenfalls am Täuschungsvorsatz.

Rücktritt des Versicherers unwirksam

Der Rücktritt des Versicherers sei ebenfalls nicht wirksam erfolgt. Ein Rücktrittsrecht nach Paragraf 19 Absatz 2 VVG bestehe nicht, da der Kläger die schriftlichen Antragsfragen nicht falsch beantwortet und damit seine Anzeigepflicht aus Paragraf 19 Absatz 1 Satz 1 VVG nicht verletzt habe, so das Oberlandesgericht. Die im Rahmen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung diskutierte weitergehende Anzeigepflicht für unerfragte Umstände sei nach Auffassung des Gerichts im Rahmen des Rücktrittsrechts aufgrund der hier getroffenen abschließenden gesetzlichen Regelung ohne Belang.

Ferner komme ein Rücktrittsrecht ohnehin nur in Betracht, wenn der Versicherer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat (Paragraf 19 Absatz 5 Satz 1 VVG). Dies könne hier nicht festgestellt werden, so das Gericht weiter. Die Versicherung könne nämlich das maßgebliche Antragsformular nicht vollständig vorlegen.

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