Von links: Michael Schmahl, Vertriebsleiter der Knappschaft, und Thorulf Müller, Krankenversicherungsexperte © privat
  • Von Manila Klafack
  • 05.01.2018 um 09:30
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Während des Wahlkampfs spielte sie kaum eine Rolle, doch plötzlich rückt sie in den Fokus der Politik: die Bürgerversicherung. Pfefferminzia sprach mit Michael Schmahl, Vertriebsleiter der Knappschaft, sowie dem Krankenversicherungsexperten Thorulf Müller über unser Gesundheitssystem. Wann lohnt sich eine Rückkehr in die GKV? Und welche Möglichkeiten gibt es, falls dies nicht möglich ist? Hier kommen die Antworten.

Und wie würde sich die Bürgerversicherung auf die gesetzlich Versicherten auswirken?

Schmahl: Die Befürworter der Bürgerversicherung versprechen sich höhere Einnahmen für die GKV, um so ein besseres Leistungsniveau der Grundversorgung zu ermöglichen. Es soll mehr soziale Gerechtigkeit sowohl in der solidarischen Beitragsfinanzierung als auch der Qualität und Nutzung der Versicherungsleistungen erreicht werden.

Wie stehen Sie selbst zur Abschaffung der PKV?

Schmahl: Ich bin als Beamter aktuell privat versichert, kann mir eine Bürgerversicherung mit der Option der privaten Zusatzversicherung aber durchaus vorstellen. Ohne Bestandsschutzregelungen wird das jedoch nicht funktionieren, so wie es Herr Müller schon angesprochen hat.

Müller: Das deutsche System ist mit den Systemen in Europa nicht kompatibel. Im Wettstreit um internationale Fachkräfte verlieren wir oft als Standort, weil die Experten von diesem System abgeschreckt werden. So berichtet mir das zum Beispiel Patrick Oliver Ott, der sich als Versicherungsmakler auf Expats in Deutschland spezialisiert hat.

Es geht aber vor allem um die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, insbesondere in Zeiten der demografischen Veränderung. Es fehlt bereits heute an ärztlicher Versorgung in der Fläche. Viele junge Mediziner wollen nicht als selbstständige Unternehmer arbeiten. Darum benötigen wir andere Modelle. Letztendlich müssen weniger medizinische Fachkräfte mehr kranke, weil alte, Menschen versorgen. Wie soll das mit dem heutigen System funktionieren?

Woran hapert es denn am meisten?

Müller: Am Versagen der ärztlichen Selbstverwaltung. Die Mediziner fordern jedes Jahr mehr Geld, stellen aber die Versorgung nicht sicher. Jeder Arzt tut als Unternehmer, wozu er Lust hat. Die Terminvergabe wird als Druckmittel verwendet, um noch mehr Geld zu verlangen. Dabei sollte man sich allerdings folgendes vor Augen halten: Wenn ein Privatpatient bei der Terminvergabe bevorzugt wird, erhält ein Kassenpatient mit höherer medizinischer Priorität eine Untersuchung oder Behandlung nicht oder erst später. Diese Geiselhaft der Kassenärzte ist gesellschaftlich und moralisch unerträglich. Und meines Erachtens seit dem 1. Oktober 2016 auch strafbar, gemäß der Paragrafen 299a und 299b Strafgesetzbuch.

Ein weiterer Punkt ist die Verschlechterung der medizinischen Grundversorgung. Seit 1995 hat sich die Zahl der niedergelassenen Fachärzte um 50 Prozent erhöht. Die niedergelassenen Ärzte in der hausärztlichen Versorgung, und dazu gehören auch die Kinderärzte, sind gleichzeitig um fast 20 Prozent geschrumpft. Wenn dass das Ergebnis der ärztlichen Selbstverwaltung ist, gehört das Gesundheitswesen den Ärzten weggenommen.

Und: Was nutzt den Privatpatienten in den friesischen Tiefebenen, der Oberpfalz, in Franken, Thüringen oder in Brandenburg der Status als Privatpatient mit schnelleren Arztterminen, wenn es dort gar keine Ärzte mehr gibt?

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Manila Klafack

Manila Klafack war bis März 2024 Redakteurin bei Pfefferminzia. Nach Studium und redaktioneller Ausbildung verantwortete sie zuvor in verschiedenen mittelständischen Unternehmen den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.

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