Der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky ist Geschäftsführer der 2b AHEAD ThinkTank GmbH. © 2b AHEAD ThinkTank 
  • Von Sabine Groth
  • 14.10.2021 um 12:06
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Vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt: Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky beschreibt, wie die Arbeitswelt von morgen aussieht, wie sich Unternehmen darauf vorbereiten können – und warum sie ihren Mitarbeitern manchmal einfach etwas wegnehmen müssen.

Pfefferminzia: Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz, kurz KI, vernichten Arbeitsplätze en masse. Der Fachkräfte- und Personalmangel verschärft sich weiter. Zwei Thesen. Welche stimmt denn nun? 

Sven Gábor Jánszky: Es stimmen beide, aber der Fachkräftemangel wiegt schwerer. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass wir 2025 rund 6,5 Millionen Menschen weniger in der Arbeitswelt haben als 2015. Die Babyboomer-Generation erreicht das Rentenalter, die geburtenschwachen jüngeren Jahrgänge können das nicht auffüllen. Für den gleichen Zeitraum rechnen wir per saldo mit rund einer Million wegfallenden Arbeitsplätzen durch Digitalisierung und KI. Wir sind auf dem Weg in die Vollbeschäftigung mit all den positiven Auswirkungen für Arbeitnehmer und den „katastrophalen“ Auswirkungen für die Unternehmen. Wann Vollbeschäftigung eintritt, ist von Branche zu Branche und Region zu Region unterschiedlich. Im Süden und Südwesten Deutschlands haben wir diesen Zustand an vielen Stellen bereits. Und in den Branchen IT und Unternehmensberatung herrscht schon ein extremer Mangel.  

Wie wird die Arbeitswelt von morgen mit Vollbeschäftigung aussehen? 

Vollbeschäftigung bedeutet, dass bei jedem halbwegs qualifizierten Mitarbeiter etwa alle zwei Wochen der Headhunter anruft und einen Job anbietet. Was machen diese Menschen dann? Unsere Prognose ist, dass etwa 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihrem Arbeitgeber als Langzeitangestellte treu bleiben, rund 20 Prozent werden als Selbstständige und Freiberufler arbeiten, das sind etwa so viele wie heute. Die restlichen 40 Prozent der Erwerbstätigen sind das eigentliche Neue, was ein Vollbeschäftigungsmarkt mit sich bringt. Wir nennen sie Projektarbeiter. Sie sind immer nur für ein paar Jahre für ein bestimmtes Projekt bei einem Unternehmen angestellt und wechseln dann zum nächsten. Das sind tendenziell die kompetentesten Mitarbeiter. Das heißt grob, dass ein Unternehmen 40 Prozent seiner besten Mitarbeiter alle zwei Jahre verliert. Das ist eine bittere Konsequenz  – und die größte Herausforderung in der Arbeitswelt für morgen.  

Mitarbeiterbindung ist ja schon in vielen Bereichen ein wichtiges Thema. Wird sich dies verstärken? 

Was wir heute unter Mitarbeiterbindung verstehen, wird dann nicht mehr funktionieren. Wir beschreiben in unseren Zukunftsstudien zwei grundsätzlich unterschiedliche Strategien für Unternehmen. Die einen nennen wir fluide Unternehmen. Diese sind in der Lage, die Projektarbeiter immer wieder anzuziehen und abzuschieben – sie dabei aber im eigenen Netzwerk zu halten. Ein Beispiel: Ein Abteilungsleiter kündigt seinem besten Mitarbeiter, vermittelt ihn aber gleichzeitig auf ein anderes Projekt in seinem persönlichen Kontaktnetzwerk. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dann in zwei Jahren für ein neues Projekt zurückkommt, ist ziemlich hoch. Der Versuch, ihn stattdessen fest an das Unternehmen zu binden, wäre wahrscheinlich wenig erfolgreich. Er würde sich selbst etwas suchen und wäre für das Unternehmen wohl verloren. Solche Strategien eignen sich insbesondere für Unternehmen in Metropolen und Ballungsgebieten, wo Projektarbeiter eher zu finden sind. Gerade mittelständische Firmen sind aber oft in der Region beheimatet. Für die wird die Strategie nicht richtig funktionieren.  

Was sollen die Mittelständler machen? 

Hier eignet sich eher die zweite Strategie. Das sind die Caring Companies, Unternehmen, die sich kümmern. Sie bauen ein vom Unternehmen gestaltetes Leben für ihre Mitarbeiter auf, aus dem man nicht so schnell wieder hinaus will. Die Bindungsmaßnahmen zielen nicht mehr nur auf den Mitarbeiter ab, sondern auf sein soziales Umfeld, seine Kinder, seine Eltern, seinen Freizeitbereich. Möglich sind betriebseigene Pflegedienste, Kitas und Schulen, aber auch betriebseigene Einfamilienhäuser oder Wohnungen, sowie Urlaubs- und Freizeitangebote.  

Das hört sich teuer und aufwendig an. 

Es ist teuer. Nur was ist die Alternative? Wenn ich ständig Mitarbeiter verliere und neue finden muss, kostet das noch viel mehr Geld. Dieser Ansatz sollte schon heute in die Unternehmensstrategie integriert werden. Eine Unternehmensstrategie ohne Personalstrategie geht heute ohnehin nicht mehr. 

Eine weitere Herausforderung ist es, Mitarbeiter für Veränderungen etwa durch neue Technologien zu begeistern. Gibt es hier eine Lösung? 

Die Wissenschaft zeigt, dass nur 15 Prozent der Menschen veränderungsaffin sind. 85 Prozent hingegen sind zufrieden mit sich und der Welt, wenn sich nichts verändert, alles stabil bleibt. Hier hilft es nur, Routinen zu durchbrechen. Jeder Mensch lebt zu 95 Prozent durch automatisierte Routinen, die im Unterbewusstsein verankert sind. Diese müssen durch neue ersetzt werden und das geht nur, wenn die alten nicht mehr zur Verfügung stehen. Dann ist der Mensch sehr veränderungsfähig. Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern also alte Möglichkeiten wegnehmen. Dann gibt es ein kurzes Murren, es kommen neue Routinen und alles ist wieder super. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen dauert es im Schnitt 90 Tage, bis sich neue Routinen eingestellt haben. Während der Pandemie war dies gut zu beobachten: Skype-Konferenzen gibt es seit 2003. Genutzt haben sie nur sehr wenige. Im Lockdown fielen persönliche Treffen weg, viele waren ins Homeoffice verbannt, und plötzlich machten alle Video-Konferenzen. Den Gesundheitsämtern sollte man übrigens einfach die Fax-Geräte wegnehmen. 

 


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Sabine

Sabine Groth

Sabine Groth schreibt seit über 20 Jahren schwerpunktmäßig über Geldanlage sowie weitere Finanz- und Wirtschaftsthemen, seit 2009 als freie Journalistin. Zu ihren Auftraggebern zählen vor allem Fachmagazine und -portale.

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