Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Gewerblichen Rechtsschutz bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Kanzlei Jöhnke & Reichow
  • Von Redaktion
  • 22.02.2021 um 20:22
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Ein Mann ist an Multipler Sklerose erkrankt und macht das bei seinem Berufsunfähigkeitsversicherer geltend. Dieser lehnt die Leistung wegen arglistiger Täuschung ab und tritt vom Vertrag zurück. Was war geschehen? Das erklärt Ihnen Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke in seinem Gastbeitrag.

Dennoch wirksame Anfechtung?

Das OLG Karlsruhe vertrat dennoch die Ansicht, dass die Voraussetzungen des Paragrafen 123 Absatz 1 Alt. 1 BGB erfüllt seien, weil der Kunde dem Versicherer durch Unterzeichnung der angekreuzten Erklärung vorgespiegelt haben solle, fähig zu sein, seiner Berufsfähigkeit in vollem Umfang nachzugehen. Der Kläger habe den Versicherer damit getäuscht, weil die fragliche Erklärung objektiv falsch gewesen sei, so das Oberlandesgericht.

Entgegen der Auffassung des Versicherten stellte der Senat klar, dass nicht die Grundsätze des Arbeitsrechts, insbesondere nicht dessen Leistungsmaßstäbe entscheiden seien, sondern Antragsfragen nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen seien. Als rechtlicher Laie gehe dieser davon aus, dass es bei der Erklärung darauf ankomme, ob er die Aufgaben, die sein Beruf an ihn stellt, uneingeschränkt erfüllen könne.

Es spiele jedoch keine Rolle, weshalb dies nicht der Fall ist. Für die Beurteilung der Frage, ob die unterzeichnete Erklärung richtig ist, komme es demnach darauf an, ob der Kläger bei Antragstellung in der Lage war, seinem konkret ausgeübten Beruf ohne Einschränkung nachzugehen und den damit einhergehenden Anforderungen im Rahmen des Zumutbaren gerecht zu werden. Dies sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme objektiv nicht der Fall gewesen, so das Gericht. Die Täuschung durch den Kläger sei auch arglistig gewesen.

Kann die Entscheidung des OLG Karlsruhe überzeugen?

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe kann im Ergebnis überzeugen. Das Gericht vertieft in seiner Entscheidung die Auseinandersetzung mit der spontanen Anzeigepflicht und betont die Möglichkeit, dass diese sogar bei gefahrerheblichen Umständen nicht bestehen könnte. Es führt weiter aus, dass es auf diese umstrittene Frage im vorliegenden Fall nicht ankomme. Das kann jedoch in der Praxis anders sein und es kann eben auf diese Streitfrage ankommen. Das OLG Karlsruhe erwähnt ferner die Entwicklung bezüglich dieser Streitfrage, stellt jedoch in Frage, ob an dieser festzuhalten ist.

Außerdem führt das OLG Karlsruhe richtigerweise aus, dass trotz Nichtbestehens einer spontanen Anzeigepflicht eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht ausgeschlossen ist, zumindest bei auf der Hand liegender oder evidenter Gefahrerheblichkeit. Zu Recht hat das OLG Karlsruhe ausgeführt, dass wie im vorliegenden Fall eine bewusste Falschbeantwortung einer Frage als objektiver Umstand nicht allein zur Annahme von Arglist genügt. Vielmehr bedarf es in subjektiver Hinsicht einer Einflussnahme durch den Versicherungsnehmer auf die Entschließung des Versicherers. Dies hat das Gericht hier richtigerweise bejaht.

Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe weist eine sehr hohe Relevanz für die Praxis, respektive Vermittler-Praxis auf. Auf der einen Seite stärkt diese Entscheidung die Rechte der Versicherungsnehmer hinsichtlich einer etwaigen spontanen Anzeigepflicht. Auf der anderen berücksichtigt sie die Rechte der Versicherer in Bezug auf die Leistungsfreiheit in Ausnahmefällen und betont deren Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung. Zu betonen ist, dass selbst wenn den Versicherungsnehmer keine spontane Anzeigepflicht treffe, der Versicherer leistungsfrei werden kann, sofern die Voraussetzungen einer Anfechtung vorliegen.

Allerdings bildet weiterhin der allgemein anerkannte Umstand, dass den Versicherungsnehmer grundsätzlich keine spontane Anzeigeobliegenheit trifft, der Regelfall. Eine eindeutige und einheitliche, höchstrichterliche Regelung für den Fall der sogenannten „spontanen Anzeigeobliegenheit“ im Versicherungsfall lässt sich aber nicht feststellen. Jeder Einzelfall muss damit auch „im Einzelfall“ geprüft werden.

Damit bleibt festzuhalten, dass es quasi unabdingbar ist, jeden Versicherungsfall anwaltlich überprüfen zu lassen und frühzeitig eine kompetente Beratung durch versierte Fachanwälte für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen, um eine spätere Leistungsablehnung im Rahmen der vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten bestenfalls zu vermeiden.

Über den Autoren

Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Rechtsschutz & IT-Recht, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.

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