Dachdecker bei der Arbeit: Für den Neubau eines Wohnhauses nach einem Totalschaden müssen die Versicherer deutlich mehr zahlen als noch vor einigen Jahren. © picture alliance / imageBROKER | Norbert Probst
  • Von Lorenz Klein
  • 22.05.2023 um 13:50
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Baumaterialien haben sich immens verteuert. Wer nun im Eigenheim sitzt und denkt, dass ihn das nicht kümmern muss, irrt. Denn die Prämie für die Wohngebäudeversicherung ist an die Entwicklung der Baukosten gekoppelt. Über eine Branche im Umbruch.

Beginnen wir diesen Text mit einer unverbrüchlichen Gewissheit: Brennt das Eigenheim bis auf die Grundmauern nieder oder wird es von den tosenden Fluten mitgerissen, zahlt die Wohngebäudeversicherung (WGV) den Wiederaufbau. Bis zum letzten Cent.

Dabei muss es den – hoffentlich versicherten – Haus- oder Wohnungsbesitzer erst einmal nicht interessieren, dass die Kosten für die dafür benötigten Baumaterialien in den vergangenen Monaten rasant gestiegen sind. Das ist Sache der Versicherung. „Bei einem Schaden werden die anfallenden Kosten für Reparaturen oder Wiederherstellung zu aktuellen Preisen ersetzt – auch wenn sie höher liegen als die ursprünglichen Baukosten für das Gebäude“, erklärt Versicherungsvermittler Bernd Hoffmann. Im Fachjargon nennt man das „Versicherung zum gleitenden Neuwert“.

Etwas zum Neuwert zu ersetzen, war zu „normalen Zeiten“ eingeübte Praxis für die Wohngebäudeversicherer. Doch die Corona-Pandemie brach herein und mit ihr auch so manche Lieferkette entzwei – und mit dem russischen Überfall auf die Ukraine platzte bekanntlich auch noch der Traum vom billigen Gas: Die Preise für energieintensive Baustoffe wie Stahl, Stahlerzeugnisse oder Glas gingen 2022 durch die Decke – im Jahresdurchschnitt um gut 40 Prozent und mehr gegenüber dem Vorjahr.

Unter uns Hobby-Tüftlern: Stahl wird oft in Verbindung mit Beton unter anderem im Rohbau zur Verstärkung von Bodenplatten, Decken oder Wänden eingesetzt. Oder die gute alte Bitumen-Masse: Sie wird vor allem dazu verwendet, um Dächer, Gebäude und Fundamente gegen das Eindringen von Wasser abzudichten. Ein Baustoff also, der so alltäglich und unspektakulär in Erscheinung tritt wie eine beige gekleidete Rentnerin auf dem Stader Wochenmarkt. Teuerungsrate: 38,5 Prozent gegenüber 2021.

Um es abzukürzen: Insgesamt legten die Preise für den Neubau von Wohngebäuden im Jahresdurchschnitt 2022 um 16,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Laut Destatis ist das die höchste gemessene Veränderung gegenüber einem Vorjahr seit Beginn der Erhebung im Jahr 1958. Und ja, für all das kommt besagte Versicherung zum gleitenden Neuwert auf. Alles andere wäre ja auch irgendwie realitätsfremd: Denn würde man Wohngebäude stattdessen mit einer festen Versicherungssumme versichern, so wäre diese aufgrund der Inflation schon nach kurzer Zeit nicht mehr ausreichend, um den Totalschaden eines Gebäudes abzudecken.

Man kann also festhalten: Für die Versicherten ist die gleitende Neuwertversicherung ein vortrefflich Ding. Einerseits. Andererseits gilt natürlich auch hier die alte Wirtschaftsweisheit: There is no free Lunch. Sprich: Die Versicherung erwartet eine Gegenleistung für ihr Rundum-sorglos-Paket. Sie holt sich die Mehraufwände über die Beiträge zurück.

Beiträge steigen kräftig

Und die sind zuletzt ebenfalls rasant gestiegen: Wie Makler berichten, kommt es in der Wohngebäudeversicherung aktuell zu Prämienanpassungen von bis zu 30 Prozent, in Einzelfällen sogar von 50 Prozent. Letzteres würde bedeuten, dass sich die Police binnen eines Jahres von rund 450 Euro auf knapp 680 Euro verteuert – auch dann, wenn der Versicherte schadenfrei blieb. Was ist da los?

Nun, die Versicherer kalkulieren die Prämie in der Wohngebäudeversicherung nicht zuletzt auf Basis des sogenannten Anpassungsfaktors. Dieser wird vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) für jedes Kalenderjahr neu berechnet. Die Grundlage hierfür liefert wiederum das Statistische Bundesamt. Die Behörde erfasst, wie sich die Baukosten und die Löhne im Baugewerbe über die Jahre entwickeln: Sinken oder erhöhen sich die jeweiligen Indizes, sinkt beziehungsweise erhöht sich auch der Anpassungsfaktor – und damit der Versicherungsbeitrag.

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Jens van der Wardt, Leiter Maklervertrieb bei der GEV Grundeigentümer-Versicherung aus Hamburg, hält diesen Mechanismus im Grundsatz für eine gute Sache. „Die Anpassung gilt als Ausgleich zu gestiegenen Bau-, Reparatur-, Material- und Lohnkosten. Somit wird sichergestellt, dass der Versicherungsnehmer immer voll versichert ist und nicht in die Unterversicherung rutscht.“

Die Höhe der Beitragsanpassung werde damit nicht von der GEV, sondern vom GDV in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik bemessen und herausgegeben, betont van der Wardt. Die entsprechenden Werte würden marktübergreifend von den Versicherern eins zu eins übernommen. „Wohngebäudeversicherungen müssen in der aktuellen Phase teurer werden“, bestätigt Vermittler Bernd Hoffmann. „Für 2023 steigt der entsprechende Anpassungsfaktor im Vergleich zum Vorjahr um knapp 15 Prozent“, sagt Hoffmann. Allein: Üblich waren bisher etwa 3 Prozent pro Jahr.

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Lorenz Klein

Lorenz Klein gehörte dem Pfefferminzia-Team seit 2016 an, seit 2019 war er stellvertretender Chefredakteur bei Pfefferminzia. Im Oktober 2023 hat Klein das Unternehmen verlassen, um sich neuen Aufgaben in der Versicherungsbranche zu widmen.

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