Eine Rentnerin steigt aus ihrem Bett: Viele ältere Menschen müssen irgendwann in ein Altersheim ziehen. © Pixabay
  • Von Juliana Demski
  • 27.09.2019 um 16:05
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Eine Pflegebürgerversicherung wäre für viele Menschen in Deutschland eine große Entlastung, während die Beitragszahler nur wenig mehr zahlen müssten. Zu diesem Fazit kommt eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Zustimmung kommt von Verbraucherschützern und Sozialverbänden.

Eine staatliche Pflegevollversicherung anstelle des aktuellen Teilkasko-Prinzips würde vielen Menschen in Deutschland helfen und wäre nur mit geringen Mehrkosten für die Bevölkerung verbunden. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie unter Leitung von Heinz Rothgang, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen.

Gut 5 Euro müssten die Beitragszahler pro Monat draufzahlen, im Jahr rund 65 Euro. Arbeitgeber müssten demnach im Jahr nur 25 Euro mehr zahlen als bisher.

Der Beitragssatz, so Rothgang, wäre nahezu identisch – und das sogar langfristig. So läge der durchschnittliche Beitragssatz 2060 in einer Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung nur um knapp 0,25 Prozentpunkte höher als bei einer Fortsetzung der Teilversicherung in der heutigen gesetzlichen Sozialen Pflegeversicherung (SPV). In der SPV sind knapp 90 Prozent der Menschen in Deutschland versichert.  

Zudem zeigt die Studie positive Verteilungswirkungen einer Bürgervollversicherung. Der Grund: Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen müssten in solch einem Modell weniger zahlen als Versicherte mit hohen Einkommen: Für die Leistungsverbesserung, die Zuzahlungen zu notwendigen Pflegeleistungen überflüssig macht, müssten die einkommensmäßig „unteren“ 50 Prozent aller SPV-Versicherten aktuell maximal 50 Euro pro Jahr beziehungsweise höchstens 4 Euro im Monat an höheren Beiträgen zahlen.

Nur 10 Prozent der SPV-Versicherten würde eine Umstellung auf die Vollübernahme der Pflegekosten in einer Bürgerversicherung pro Jahr mehr als 100 Euro zusätzlich kosten. Dabei handelt es sich um die einkommensstärksten Haushalte. In der unteren Hälfte des obersten Einkommenszehntels sind es im Durchschnitt 140 Euro im Jahr. Für die 5 Prozent der Versicherten mit den höchsten Einkommen stiege der Beitrag um jährlich durchschnittlich 250 Euro an – so die Ergebnisse der Studie.

Aber auch Menschen mit einer Teilabsicherung in der Privaten Pflegeversicherung (PPV) würden profitieren:  

Im Durchschnitt müssten privat Pflegeversicherte pro Jahr rund 530 Euro mehr zahlen als bisher, ihre Arbeitgeber knapp 240 Euro. Dabei gilt auch für zuvor PPV-Versicherte, dass Menschen mit geringeren Einkommen für die Vollabsicherung deutlich weniger bezahlen müssten als sehr gut Verdienende – anders als heute. 

Der Grund: Privat pflegeversichert sein, dürfen bislang nur Arbeiter und Angestellte oberhalb einer Einkommensgrenze sowie Beamte und Selbständige. Zudem müssen Privatversicherte eine Risikoprüfung durchlaufen. Beides führt dazu, dass durchschnittliche Mitglieder in der PPV im Vergleich zur SPV ein um zwei Drittel höheres beitragspflichtiges Einkommen haben, zudem aktuell eine günstigere Altersverteilung aufweisen und gesünder sind, analysiert Rothgang. So haben die PPV-Versicherer aktuell nicht einmal die Hälfte der Leistungsausgaben und können mit konkurrenzlos niedrigen Prämien kalkulieren. 

Von einer „ausgewogenen Lastenverteilung“ könne bislang nicht die Rede sein, zitieren die Studienautoren das Bundesverfassungsgericht. „Vielmehr zeigt sich hier aus Gerechtigkeitsüberlegungen ein deutlicher und dringender Reformbedarf“, so Co-Autor Dominik Domhoff. Eine Pflegebürgerversicherung könne eine solche Reform sein.

Auch Studienautor Rothgang sieht das so: „Mit einer Pflegebürgerversicherung werden die Gerechtigkeitsdefizite weitgehend beseitigt, die die aktuelle Aufspaltung bringt. Wird diese als Vollversicherung ausgestaltet, werden nicht nur die derzeitigen Eigenanteile bei der Pflege abgebaut. Vielmehr werden die ansonsten unmittelbar drohenden Anstiege der Eigenanteile verhindert, und zwar langfristig, ohne dass der Beitragssatz für das Gros der Versicherten und ihre Arbeitgeber nennenswert höher wäre“, erklärt der Experte.

Ähnlicher Meinung ist auch Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV):

„Bereits jetzt sind aber erste Schritte zur finanziellen Entlastung pflegebedürftiger Verbraucher notwendig und in der Praxis umsetzbar. Die Bundesregierung muss zeitnah handeln und darf diesen Punkt nicht länger auf die lange Bank schieben. Der Eigenanteil, den Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen zahlen liegt mittlerweile bundesweit bei über 1.900 Euro.“

Und weiter: „Die aktuelle vorgesehene Stärkung der Pflege durch die Bundesregierung ist wichtig und wird vom VZBV ausdrücklich unterstützt. Die Kosten der steigenden Ausgaben dürfen aber nicht allein den Pflegebedürftigen aufgebürdet werden. Das ist derzeit leider der Fall. Die Leistungen der Pflegeversicherung im Fall von Pflegebedürftigkeit müssen jetzt erhöht und an die Realität angepasst werden. Dabei müssen sie sich an der Inflationsrate und den Personalkosten orientieren.“ 

Zudem spricht sich Müller im Rahmen der Diskussion um die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung für einen Steuerzuschuss analog zur gesetzlichen Krankenversicherung aus: „Dadurch kann die zu erwartende Beitragssteigerungen begrenzt werden. Versicherungsfremde Leistungen, etwa die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Pflegkräfte, sollten nicht durch die Beitragszahler finanziert werden.“ 

Der Präsident des Sozialverbands Deutschland (SOVD), Adolf Bauer, nahm ebenfalls Stellung zu diesem Thema:  

„Für die Angehörigen der Pflegebedürftigen ist der Gesetzentwurf ein Hoffnungsfunke. Wer in der eigenen Familie pflegt, der leistet harte Arbeit. Und dieses Verdienst darf nicht in einem finanziellen Desaster enden.“

Vor allem den im Gesetzentwurf rund um die Pflegevollversicherung enthaltenen Schutzschild für Kinder und Eltern pflegebedürftiger Familienmitglieder begrüße sein Verband, so Bauer. Erst ab einem jährlichen Bruttoeinkommen von 100.000 Euro würden Angehörige an den Pflegekosten beteiligt.

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Juliana Demski

Juliana Demski gehörte dem Pfeffi-Team seit 2016 an. Sie war Redakteurin und Social-Media-Managerin bei Pfefferminzia. Das Unternehmen hat sie im Januar 2024 verlassen.

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