Kinder spielen im Dreck: Untersuchungen ergaben, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwuchsen, seltener unter Allergien und Asthma leiden. © panthermedia
  • Von Joachim Haid
  • 27.08.2019 um 10:15
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Im zweiten Teil dieser Reihe beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Folgen der Kampf gegen Bakterien und Viren seit deren Entdeckung als Krankheitsauslöser Ende des 19. Jahrhunderts hatte. Welche Konsequenzen haben moderne Trends wie geplante Kaiserschnitte? Und was ist eigentlich ein Holobiont? Hier erfahren Sie es.

Ein Abstrich kann trügerisch sein

Bekommen Kinder Halsschmerzen, entsteht schnell der Verdacht, dass hier Bakterien namens Streptokokken des Typs A am Werk sein könnten. Werden diese vom Körper nicht erfolgreich bekämpft, kann als Folgeerkrankung rheumatisches Fieber entstehen. Eine weitere mögliche Spätfolge sind Schädigungen der Herzklappen. Bevor es Antibiotika gab, litt etwa eines von dreihundert Kindern an diesen Spätfolgen. Das Risiko lag also bei 0,33 Prozent (Quelle: Mikrobiologe Martin J. Blaser).

Heute erhalten bis zu 80 Prozent der Kinder ein Antibiotikum. Klar, das Risiko für Spätfolgen ist mit 0,33 Prozent gering. Nur was, wenn genau das Kind, dem der Arzt nun kein Antibiotikum verschreibt, an diesen Spätfolgen erkrankt? Das ist nicht nur für das Kind und dessen Eltern dramatisch. Der Arzt könnte gefragt werden, weshalb er damals kein Antibiotikum verschrieb, welches die Spätfolgen hätte vermeiden können. Ein möglicher Haftungsfall.

Nun könnten Halsschmerzen aber auch durch einen Virus ausgelöst worden sein, gegen den ein Antibiotikum nicht hilft. Möchte man auf Nummer sicher gehen und eine unnötige Medikamentengabe vermeiden, wird ein Abstrich gemacht. Finden sich hier nun Streptokokken, wird der Arzt den Eltern in vielen Fällen ein Antibiotikum empfehlen. Heute wissen wir jedoch, dass der Hals-Nasen-Rachenraum häufig von Streptokokken besiedelt ist, welche jedoch nicht zwangsläufig eine Erkrankung auslösen müssen. Wir können jahrelang diese Erreger in uns tragen, ohne krank zu werden. Wird nun ein Abstrich gemacht, ist der Streptokokkenbefund positiv, obwohl sie vielleicht nicht der Verursacher der Halsschmerzen sind, sondern ein Virus. Es würde in diesem Fall also völlig unnötig ein Antibiotikum verschrieben werden, so Dr. Martin J. Blaser. Wollte der Arzt noch genauer differenzieren, müsste er das Kind genauer beobachten und untersuchen. Entwickelt sich ein Fieber und ist dieses höher, als beim durchschnittlichen kranken Kind? Ist die Anzahl der weißen Blutkörperchen wesentlich höher? Eine 100-prozentige Sicherheit bieten jedoch auch diese weiteren Untersuchungen nicht. Vor allem benötigen diese Zeit. Wer schon einmal in der Erkältungssaison in der Kinderarztpraxis war, weiß, dass ein Kinderarzt über vieles verfügen mag. Ausreichend Zeit für das jeweilige erkrankte Kind gehört bei bis zu 100 Patienten pro Tag leider meist nicht dazu.

Wie wir im Folgenden sehen werden, ist ein reduzierterer Einsatz von Antibiotika jedoch nicht nur zur Vermeidung von Resistenzen wichtig. Denn der Krieg gegen die Keime fand die vergangenen Jahrzehnte durch den vermehrten Einsatz von Breitbrandantibiotika oftmals unspezifisch statt. Diese Medikamente wirken gegen mehrere Bakterienarten, darunter jedoch auch viele, die wichtig für unsere Gesundheit sind. Während bestimmte Medikamente gezielt wie ein Scharfschütze vorgehen, ist die Wirkung von Breitbandantibiotika, wie beispielsweise Amoxicillin, eher mit einem Flächenbombardement eines B-50 Bombers zu vergleichen. Auch gezielte Vernichtungskampagnen, wie gegen den Magenkeim Helicobacter Pylori, werden heute mit ganz anderen Augen betrachtet.

Falsch verstandene Hygienehypothese?

Seit Jahren sind Allergien immer mehr auf dem Vormarsch. Ende der achtziger Jahre kam die Idee auf, dass dies an zu viel Hygiene liegt. In den industriell entwickelten Ländern hätte sich durch den Einsatz von Reinigungsmitteln, Filtersystemen und Desinfektionsmitteln eine zu sterile Umgebung ergeben. Das kindliche Immunsystem sei deshalb mit zu wenig Bakterien und Parasiten konfrontiert. Das würde dazu führen, dass unser Abwehrsystem unterfordert ist und sich so gegen eigenes Körpergewebe richtet. Quasi aus Langeweile. So entstünden Autoimmunkrankheiten. Eltern wurde deshalb geraten, die Kinder wieder mehr im Dreck spielen zu lassen und Haustiere anzuschaffen: „Dreck macht Speck“. Gestützt wurde diese Hygienehypothese dadurch, dass Untersuchungen von Kindern, die auf Bauernhöfen aufwuchsen, ergaben, dass diese seltener unter Allergien und Asthma leiden.

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Joachim Haid

Joachim Haid ist Gründer des Gesundheitsprogramms PaleoMental®, zudem Gesundheitscoach und Heilpraktiker in Ausbildung.

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