Björn Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Informationstechnologierecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Jöhnke und Reichow
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  • 30.11.2021 um 11:38
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Wenn eine Arbeitnehmerin nach dem Mutterschutz vorübergehend anderen Aufgaben im Betrieb nachgeht als es ihrem eigentlichen Beruf entspricht – auf welche Tätigkeit muss dann eine beantragte Berufsunfähigkeit abgeklopft werden? Den kniffligen Fall, über den das OLG Saarbrücken zu entscheiden hatte, stellt Rechtsanwalt Björn Jöhnke in seinem Gastbeitrag vor.

Weiter führte das OLG Saarbrücken aus, dass zwar bei der Feststellung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend sei, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war. Habe der Versicherte nämlich vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit seinen Beruf gewechselt, ohne dass gesundheitliche Umstände dafür ursächlich waren, sei deshalb regelmäßig auf die neue Tätigkeit abzustellen. 

Tätigkeit muss die Lebensstellung in erheblicher Weise prägen

Etwas anderes gelte jedoch, wenn die neue Tätigkeit die Lebensstellung des Versicherten noch gar nicht zu beeinflussen begonnen hat. Nach Auffassung des OLG sei es Sinn und Zweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die Lebensstellung des Versicherten zu wahren, die aber erst dann durch den bisherigen Beruf geprägt wird, wenn dieser eine gewisse Zeit lang ausgeübt wird. Deshalb bleibe eine frühere Tätigkeit maßgeblich, wenn der Versicherungsnehmer sie für die Dauer von Erziehungs- oder Elternzeiten lediglich unterbricht, auch wenn er in dieser Zeit vorübergehend einer anderen Beschäftigung nachgeht. Gleiches gelte in dem Fall, in dem der Versicherte von seinem Arbeitgeber lediglich vorübergehend mit bestimmten anderen Tätigkeiten betraut wird oder Gelegenheitsarbeiten übernimmt. Die Gemeinsamkeit dieser Fälle liege demnach darin, dass die neue oder geänderte Tätigkeit aus der Sicht des Versicherungsnehmers nicht oder noch nicht geeignet war, dessen Lebensstellung in erheblicher Weise zu prägen, so das Oberlandesgericht.

Elternzeit kann unbeachtlich sein für die BU-Prüfung

Im Ergebnis sei hier nicht die der Klägerin lediglich vorübergehend zugewiesene Tätigkeit im Bereich „Instandhaltung-Controlling“ maßgebend, sondern die von ihr ursprünglich ausgeübte Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage. Soweit sie im August 2012 wieder angefangen habe zu arbeiten und dann auf eigenen Wunsch in die Verwaltung gewechselt war, war dieser Wechsel von vornherein auf einen Zeitraum von 18 Monaten befristet. Nach Ansicht des Gerichts sei daher von vornherein geplant gewesen, dass die Versicherte nach Ablauf dieser Zeit wieder an der Ein- und Ausgangswaage tätig werden würde. Gegenüber dem Sachverständigen habe die Klägerin dementsprechend angegeben, dass sie nach Ablauf der vorgesehenen Zeit bis zu ihrer Entlassung im Februar 2015 wieder „Mitarbeiterin Pforte“ gewesen sei, obwohl sie dorthin wegen Berufsunfähigkeit nicht zurückgekehrt sein mag.

Da sie aber nach ihrem vorübergehenden Wechsel in den Innendienst erkrankt und nach wiederholten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ab Oktober 2013 berufsunfähig gewesen sei, war diese erst seit kurzem ausgeübte, ihr lediglich vorübergehend zugewiesene Tätigkeit im Innendienst nicht geeignet, ihre Lebensstellung dergestalt zu prägen. So könne diese für die Beurteilung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit nicht zugrunde gelegt werden. Vielmehr blieb auch währenddessen ihre „Stammtätigkeit“ an der Ein- und Ausgangswaage maßgeblich, weil sie, von der familiär bedingten vorübergehenden Veränderung abgesehen, ihren „eigentlichen“ Beruf darstellte.

Der Senat konnte letztlich vorliegend nicht feststellen, dass die Versicherungsnehmerin diese Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Es fehle mithin am erforderlichen Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit. Das Vorliegen der behaupteten Erkrankung sei mithin zweifelhaft geblieben. Da das Landgericht die Beklagte zu Unrecht verurteilt habe, musste das angefochtene Urteil auf die Berufung hin entsprechend abgeändert werden.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken kann im Ergebnis überzeugen und hat eine hohe Relevanz für die Praxis. Denn mit dieser Entscheidung wurde auch konkret herausgearbeitet, welche Tätigkeit bei einer Leistungsfallprüfung durch die Versicherung zu Grunde zu legen ist. Gerade hinsichtlich des Mutterschutzes in bei einer Elternzeit stellt sich häufig die Frage, welche Tätigkeiten maßgeblich sind, wenn vor der „Auszeit“ eine andere Tätigkeit ausgeübt wurde als danach. Es kommt stets auf die Prägung der Tätigkeit im Hinblick auf die Lebensstellung an, so das OLG Saarbrücken.

Die Entscheidung zeigt aber auch, dass jede Leistungsablehnung einer Berufsunfähigkeitsversicherung beziehungsweise Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zwingend juristisch überprüft werden sollte. Bereits zu Beginn des Verfahrens, nämlich beim Leistungsantrag, müssen die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit herausgearbeitet und geprüft werden. Insbesondere sollten dabei die Voraussetzungen im Rahmen der „zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit“ genauestens geprüft werden.

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Über den Autor

Rechtsanwalt Björn Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Informationstechnologierecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft.

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