Volkswirt Dieter Wermuth: „Die Inflation vermindert auch die reale Schuldenlast“ © Wermuth AM
  • Von Redaktion
  • 04.10.2022 um 12:14
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Tatsächlich zweistellig: Für September meldeten die Statistiker in Deutschland eine Inflationsrate von satten 10 Prozent. Woher kommt das? Und geht das auch mal wieder weg? Und welche Rolle spielt der Euro dabei? Eine Analyse von Dieter Wermuth, Volkswirt und Partner bei Wermuth Asset Management.

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben soeben ihre kurz- und mittelfristigen Prognosen vorgestellt. Für das Jahr 2023 erwarten sie nun für das reale BIP im Vorjahresvergleich einen Rückgang um 0,4 Prozent. Im Frühjahr hatten sie noch eine positive Zuwachsrate von 3,1 Prozent erwartet. Das ist die größte mir bekannte Revision der Vorhersagen (minus 3,5 Prozentpunkte) innerhalb von nur sechs Monaten. Die wichtigsten Annahmen der neuen Prognose betreffen die Energiepreise: Die Gaspreise steigen zwischen 2021 und 2023 um 320 Prozent, die Strompreise um 390 Prozent.

Welche Fehler die Wirtschaftspolitik begangen hat

In der Retrospektive bestand der größte wirtschaftspolitische Fehler darin, den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht energisch genug vorangetrieben zu haben: Die Atomkraftwerke wurden bis auf drei abgeschaltet, ohne zu bedenken, dass das Land dadurch auf Energieimporte aus Russland angewiesen war. Die fallen nun gerade aus, wodurch es zu dem aktuellen Inflationsschub gekommen ist.

Die kommenden Monate werden nicht leicht sein, aber es wird zu keiner Katastrophe kommen, es sei denn der Winter wird nach langer Zeit wieder einmal extrem kalt. Die Gastanks sind zu 90 Prozent gefüllt, Haushalte und Unternehmen werden angesichts der hohen Preise ihren Verbrauch von Strom und Gas drosseln, teilweise auch auf Substitute ausweichen, LNG-Importe werden nach den Plänen der Regierung stark zunehmen, und die drei verbliebenen Atomkraftwerke werden erst mal nicht vom Netz genommen.

Prognosen für Energiepreise
Prognosen für Energiepreise

Aber was passiert, wenn die Wintertemperaturen doch deutlich unter ihre Normalwerte sinken und das Gas aus Russland weiterhin ausbleibt? Nach den Modellen der Wirtschaftsforschungsinstitute wird das reale BIP in diesem Fall im nächsten Jahr um rund 8 Prozent gegenüber 2022 zurückgehen. Das wäre der größte Einbruch seit der Depression von Ende der zwanziger / Anfang der dreißiger Jahre, die wesentlich zum Aufstieg von Hitler und seiner Nationalsozialisten beigetragen hatte.

Allerdings ist der deutsche Staat diesmal finanziell in einer viel besseren Ausgangsposition: Die Staatsschulden liegen bei verkraftbaren 68,6 Prozent des BIP, und die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen betragen nur 2,1 Prozent. Darüber hinaus hält Deutschland die zweitgrößten Nettoauslandsaktiva (2,8 Billionen Dollar), nach Japan. Mit anderen Worten, es fehlt nicht an Mitteln, mit denen sich die Nachfrage stimulieren lässt. Massenarbeitslosigkeit kann – und wird – vermieden werden.

Was das für Geldanlagen bedeutet

Für Anleger ist das Bild im Augenblick klarer als sonst. Die Rezession hat begonnen, in Deutschland und in den anderen 18 Ländern des Euroraums. Die Gewinne geraten daher unter Druck. Infolge der extrem hohen aktuellen Inflationsraten steigen die Inflationserwartungen und mit ihnen die Zinsen am kurzen und langen Ende der Renditekurve. Künftige Gewinne und Cashflows werden mit steigenden Zinsen auf die Gegenwart abdiskontiert. Daher wird es sowohl auf den Aktienmärkten als auch bei Anleihen zu weiteren Kursverlusten kommen. Die Wende ist noch nicht in Sicht. Was den Euro-Wechselkurs angeht, erwarte ich nicht, dass sich die Zinsdifferenz zu Dollaranlagen vergrößern wird, weil die EZB die Leitzinsen vermutlich stärker erhöhen wird als die Fed. Der Euro bleibt aber vorerst dem Risiko ausgesetzt, dass sich der Krieg in der Ukraine intensiviert, mit der Folge, dass der Dollar einmal mehr zur Fluchtwährung wird, also aufwertet.

 

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