Patrick Esser von Wohllebens Waldakademie setzt sich für die Schaffung von Naturwäldern ein. © Wohllebens Waldakademie
  • Von Manila Klafack
  • 20.12.2022 um 10:03
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Der Marktplatz bessergrün pflanzt für jeden abgeschlossenen Vertrag einen Baum und schützt einen alten Naturwald in der Eifel. Warum der künftige Urwald zunächst nur für 50 Jahre geschützt wird, und warum gesunde Wälder so wichtig sind, erzählt Naturschützer Patrick Esser von Wohllebens Waldakademie in Wershofen.

Pfefferminzia: Für unter 5 Euro kann jeder einen Quadratmeter des Urwalds in der Eifel schützen. Der Schutz besteht allerdings nur 50 Jahre. Ist diese Zeitspanne im Leben einer Buche oder einer Eiche nicht zu kurz gedacht?

Patrick Esser: Das stimmt, der Effekt des Schutzes der Wälder wird in 50 Jahren zwar bereits spürbar sein, aber in 100, 200 oder gar 400 Jahren zum vollen Erfolg gelangen. Für uns Menschen sind 50 Jahre allerdings viel, mehr als die Spanne eines Arbeitslebens. Um jetzt sofort beginnen zu können, wollten wir für Privatpersonen, aber auh Unternehmen, wie bessergrün, ein niedrigschwelliges Angebot für unser Uwarldprojekt erarbeiten. So kamen die Preise von je 4,75 Euro pro Quadratmeter für Eichenriesen oder Buchengiganten und 3,65 Euro pro Quadratmeter für die jungen Wilden zustande. Unser Ziel ist es jedoch, den Wald dauerhaft zu schützen, in jedem Fall über die bisher festgelegten 50 Jahre hinaus.

Warum ist ein gesunder, alter Wald so bedeutsam?

Wälder stellen die Lebensgrundlage für uns dar. Die Bäume benötigen für ihr Wachstum Kohlenstoffdioxid. Doch nicht nur die Bäume binden CO2, sondern auch der Boden. Der Wald trägt zur Kühlung seiner Umgebung bei und beeinflusst den Niederschlag. Auf uns Menschen wirken Pflanzen allgemein und Wälder im speziellen positiv sowohl auf der psychischen als auch physischen Ebene. Wissenschaftler belegen in zahlreichen Studien, dass Bluthochdruck und Symptome von Stress und selbst psychische Erkrankungen durch den Aufenthalt im Wald reduziert werden können. All das vermag aber nur ein gesunder Wald zu leisten, und aktuell haben wir in Deutschland und weltweit kaum gesunde Wälder – und Urwälder gibt es kaum noch.

Warum müssen wir uns im aktuellen Klimawandel keine Sorgen um den Wald machen, wie Peter Wohlleben in seinem Buch „Der lange Atem der Bäume“ schreibt?

Sorgen müssen wir uns durchaus machen, wenn wir mit der Forstwirtschaft im bisherigen Maß die Wälder ausbeuten. Es besteht jedoch viel Grund zu Hoffnung, dass sich der Wald erholt, wenn wir jetzt beginnen würden, die Baumplantagen in echte Wälder umzubauen.

Das heißt?

Viele Deutsche hören den Begriff Wald und sehen den Kiefernwald vor sich, durch den sie sonntags spazieren gehen. Den haben sie ihr Leben lang um sich und glauben, so müsste der Wald aussehen. Tatsächlich aber wurden viele dieser Bäume vor 80 Jahren gepflanzt, um irgendwann geerntet und verkauft zu werden. Unglücklicherweise für die Waldbesitzer kamen ihnen die Trockenheit der vergangenen drei, vier Jahre und der Borkenkäfer zuvor. In Deutschland gibt es kaum kaum noch natürlichen Wald, der überwiegend aus Laubbäumen, meist mit einem hohen Anteil von Buchen, bestehen würde. Wir haben die natürlich vorkommenden Baumarten abgeholzt. Die Stämme wurden verarbeitet und an ihren Standorten wurden aus unterschiedlichen Gründen meist vermeintlich produktivere Nadelbäume gepflanzt, wie Fichten oder Kiefern. Das Waldsterben, von dem jetzt oft zu hören ist, betrifft vorrangig diese Bäume, weil sie hier meist nicht heimisch sind und mit den Bedingungen nicht zurechtkommen.

Die Forstwirtschaft möchte mit ihrem Wald Geld verdienen. Daher entspricht das Wachsen lassen der Bäume nicht dem Zweck eines Waldes. Was könnte oder müsste getan werden, damit Waldbesitzer umdenken?

Ein wichtiger und richtiger Schritt wäre, die CO2-Steuer sofort auf Holz auszudehnen. Holz wird gern als regenerative Energiequelle angesehen, weil es nachwächst. Das ist jedoch irreführend. Immerhin braucht es Jahrzehnte bevor ein neu gepflanzter Baum das CO2 aus der Luft binden kann, das ein alter aufgenommen hat. Zum anderen gelangen durch das Verbrennen, auch im heimischen Kamin als Alternative zu Gas oder Öl, CO2 und Feinstaub in die Atmosphäre. Holz würde mit dieser Steuer teurer und als Alternative zu Gas und Öl nicht mehr taugen. Gleichzeitig könnte Wald belohnt werden und Waldbesitzer könnten Geld dafür erhalten, weil die Bäume, die eben nicht gefällt werden, CO2 weiterhin binden. Damit würde es sich lohnen, die Bäumen stehenzulassen.

Das würde aber nicht für die toten Kiefern gelten, die in den vielen Baumplantagen bisher noch stehen geblieben sind, oder?

Tatsächlich sollten sie ebenfalls nicht gefällt werden. Aus verschiedenen Gründen. Das Holz ist für die holzverarbeitende Industrie kaum zu gebrauchen und wird billig vor allem nach China verkauft. Hinzu kommt, würden die Bäume stehen bleiben, würden sie sich positiv auf den Boden auswirken. Denn die Flächen, die jetzt brach liegen, sind den Witterungseinflüssen viel stärker ausgesetzt, sie trocknen aus und verlieren ihre Nährstoffe. Die abgestorbenen Bäume könnten dem Baumnachwuchs schützen, der dort entweder von Menschenhand gepflanzt wird, oder der sich dort demnächst natürlich ansiedeln würde. Und tote Bäume leisten einen großen Beitrag für die Biodiversität im Ökosystem Wald. Sie bieten vielen Lebewesen vom Specht bis hin zu Bakterien eine Nahrungsgrundlage.

Wie würde ein intakter Wald mit seiner Pflanzen- und Tierwelt überhaupt aussehen?

Es würde viele alte Bäume geben. Eine Buche kann 500 Jahre oder sogar älter werden, gleiches gilt für die Eiche. Unsere Buchen hierzulande sind im Durchschnitt keine 100 Jahre alt. Im Frühjahr wäre der Waldboden mit Buschwindröschen übersät. Im Sommer wäre es dort dunkel, weil das dichte Kronendach der Bäume Schatten liefert. Der Boden wäre braun von den abgefallenen Blättern des Herbstes, die sich dort langsam von vielen Kleinstlebewesen zersetzen. An einem heißen Sommertag wäre es unter den Bäumen bis zu 10 Grad Celsius kühler als außerhalb des Waldes. Zum einen wegen des Schattens und zum anderen, weil die Bäume schwitzen. Diese Verdunstung kühlt die Umgebung und kann den Niederschlag erhöhen. Es regnet öfter in Waldregionen. Rehe, Hirsche, Wildschweine und selbst Elche, Wölfe und Bären würden sich wohlfühlen. Die Raubtiere würden für ein Gleichgewicht bei den Pflanzenfressern sorgen. Wenn ein Sturm Bäume umreißt, bleiben sie liegen, verrotten langsam und bilden die Grundlage für neues Leben. Dabei wirken sie wie ein Schwamm und nehmen Regen auf. Die jungen Bäume wachsen behütet und vor allem langsam im Schatten der Eltern heran. Erst, wenn die alten Bäume weichen, kommt ihre Chance. Damit wir wieder mehr dieser Wälder in Deutschland finden, braucht es Jahrhunderte. Mit dem Umbau sollten wir daher sofort starten. Denn mit jedem Jahr, in dem unsere Wälder wilder werden dürfen, werden sie auch lebendiger und widerstandsfähiger. Ganz unmittelbar können sie unser wichtigster Partner im Kampf gegen den Klimawandel und das Artensterben werden. Gleichzeitig sind sie einen wunderschöner Rückzugsraum für uns Menschen.

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Manila Klafack

Manila Klafack war bis März 2024 Redakteurin bei Pfefferminzia. Nach Studium und redaktioneller Ausbildung verantwortete sie zuvor in verschiedenen mittelständischen Unternehmen den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.

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