Stephen Voss ist Gründer und Geschäftsführer des Digitalversicherers Neodigital. © Neodigital
  • Von Karen Schmidt
  • 08.12.2023 um 12:38
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Mit Stephen Voss, Gründer und Geschäftsführer des Digitalversicherers Neodigital, sprachen wir über den Fachkräftemangel in der Versicherungsbranche, wie sich gerade kleinere Unternehmen abseits der Großstädte hervortun können – und was allwöchentliches Kochen damit zu tun hat.

Pfefferminzia: Herr Voss, schon große Konzerne an attraktiven Standorten wie Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt haben Probleme gutes Personal zu finden. Wie ist das bei Unternehmen abseits der Großstädte, die auch Arbeitnehmer mit digitalen Kenntnissen und innovativen Ideen brauchen? Ihr Unternehmen Neodigital sitzt zum Beispiel in Neunkirchen im Saarland.

Stephen Voss: Auf Unternehmen, die ein attraktives Jobangebot liefern und über die richtigen Kanäle attraktive Arbeitsmodelle anbieten, kommen aus unserer Sicht keine Probleme zu. Sicher war es vor den Zeiten von Homeoffice und Remote Work einfacher, in den Zentren qualifiziertes Personal zu akquirieren. Diese Zeiten haben sich jedoch sehr deutlich geändert. Das erfordert vor allem auch vom Arbeitgeber viel Flexibilität aber auch die Bereitstellung adäquater Strukturen damit Arbeit vor Ort aber auch abseits des Büros funktioniert. Wir haben für die Neodigital, die im Südwesten Deutschlands im Saarland ihren Sitz hat, das bereits seit der Gründung 2017 genauso umgesetzt.

Wie überzeugen sie die Leute von sich?

Voss: Wir bauen aus einer Vielzahl von Faktoren ein attraktives Modell auf. Dazu zählt an erster Stelle die Möglichkeit des 100-prozentigen Homeoffice. Damit fallen schon viele der Barrieren weg, die möglicherweise mit einem Jobwechsel verbunden sind, sollte der neue Job zu weit vom eigentlichen Wohn- oder Lebensmittelpunkt entfernt sein. Gerade auch in den modernen Homeoffice-Modellen lassen sich Familie und Beruf viel besser in Einklang bringen. Sicherlich auch ein Grund, dass wir überdurchschnittlich viele Frauen bei uns beschäftigt haben.

Es ist aber genauso wichtig, vielleicht sogar bei einem hohen Anteil von Homeoffice noch wichtiger, ein spannendes dynamisches Arbeitsumfeld anzubieten, das auch abseits der althergebrachten Arbeitsmodelle funktioniert. Dazu gehört auch der regelmäßige Austausch mit dem Team und volle Transparenz gegenüber den Mitarbeitenden.

Gibt es Beispiele, welche Maßnahmen hier besonders gut ziehen?

Voss: Wir haben etliche Mitarbeiter, die uns gewählt haben aufgrund der Dynamik des Unternehmens. Aber auch wegen der Möglichkeit, beispielsweise bei jungen Familien mit Kleinkindern, Arbeit und die ersten prägenden Jahre der Kindheit miteinander zu verbinden. Es ist eben einfacher, flexibel Kinder zu betreuen, auch mal früher aus der Kita zu holen, wenn das der Arbeitgeber als selbstverständlich zulässt und es entsprechend in den Arbeitsstrukturen berücksichtigt.

Was muss die Versicherungsbranche konkret tun, um digitalaffine Mitarbeitende für sich zu gewinnen?

Voss: Es ist wichtig, moderne digitale Systemarchitektur nicht nur als Hygienefaktor zu sehen. Sie ist essenziell für die Unternehmenszukunft. Das spüren und merken auch die Mitarbeiter. Wo Digitalisierung nur als Marketing-Klischee vorausgestellt wird, hört die Motivation der Mitarbeiter schnell auf. Diese Art des Fachkräfteabbaus kann sich unserer Branche aber nicht erlauben.

Welche Probleme sind in dieser Hinsicht typisch für den Start-up- beziehungsweise Insurtech-Standort Deutschland?

Voss: Ich würde es nicht als Problem bezeichnen, aber als Herausforderung. Wir müssen uns Themen stellen wie Zugang zu Daten, der – je nach regulatorischem Rahmenwerk – mehr oder weniger kompliziert ist. Flexible, ortsunabhängige Arbeitsmodelle, gegebenenfalls auch aus dem europäischen Ausland, sind nicht genügend in den deutschen Arbeits- und Steuergesetzen berücksichtigt. In einem vereinten Europa sollte es eigentlich kein Problem sein, wenn eine Mitarbeiterin etwa sechs Wochen aus Spanien heraus arbeiten möchte. Das führt aber aktuell jedes Mal zu einer Einzelbetrachtung. Das muss eigentlich nicht sein. Gerade die junge Generation der Arbeitnehmer möchte Arbeit und Freizeit viel enger miteinander verbinden. Travelling Work oder die gesamte Van-Life Bewegung sind hier ein gutes Beispiel. Mit dieser komplexen Aufgabe hat die Branche besonders zu kämpfen und fragt sich zu Recht, warum dies so kompliziert sein muss.

Was sollte jemand heutzutage können, um eine erfolgreiche Karriere in der Versicherungsbranche hinzulegen?

Voss: Dazu gehören klassische Komponenten wie Ausbildung und Erfahrung, aber auch Merkmale wie Teamfähigkeit und geistige Flexibilität. In modernen Arbeitsmodellen ist es wichtig, bei all den gegebenen Freiräumen trotzdem strukturiert zu arbeiten. Dazu braucht es neben der fachlichen Kompetenz auch ein großes Maß an Disziplin und Motivation. Wer einen 9-to-5-Job sucht, ist sicherlich in unserer Branche falsch. Übrigens, ein abgeschlossenes Studium oder eine abgeschlossene Ausbildung ist gerade im IT-/ Tech-Bereich, in dem wir uns bewegen, kein zwingendes Muss mehr. Das öffnet natürlich auch viele Optionen.

Wie können es kleinere Unternehmen schaffen, interessant für ein Gruppe zu sein, die auch jederzeit mit Kusshand bei einem großen internationalen Tech-Giganten und Dax-Unternehmen anfangen könnte?

Voss: Die Attraktivität muss aus dem gesamten Paket kommen, dabei ist das Einkommen ein Teil – aber nicht mehr der dominierende, das sehen wir sehr deutlich. Es geht auch um ein dynamisches Umfeld, auch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl. Bei einem großen Unternehmen kann das Individuum schnell in der großen Struktur untergehen. Hier haben die kleineren Player einen deutlichen Vorteil, sie sind viel enger am einzelnen Mitarbeiter und aus Team kann auch eine Art Familie werden. Das können große Gesellschaften nur sehr schwer vermitteln. In welchem großen Tech-Unternehmen kocht dienstags das Operations-Team für den Rest der Mannschaft?  Bei uns ist das normal.

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Karen

Karen Schmidt

Karen Schmidt ist seit Gründung von Pfefferminzia im Jahr 2013 Chefredakteurin des Mediums.

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