Inflation fest im Blick?: Zentralbank-Chefin Christine Lagarde © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Michael Probst
  • Von Andreas Harms
  • 08.09.2022 um 15:29
artikel drucken artikel drucken
lesedauer Lesedauer: ca. 02:40 Min

Sie haben es getan. Die Währungshüter von der Europäischen Zentralbank drehen an der Zinsschraube, wie es das Institut in seiner gesamten Geschichte noch nie getan hat. GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen twittert von einem starken Signal, und Interhyp-Vorständin Mirjam Mohr hört gar einen Paukenschlag.

Was der Markt schon irgendwie erwartet hatte, wurde tatsächlich wahr. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat beschlossen, per 14. September die drei Leitzinsen um je 0,75 Prozentpunkte zu erhöhen. Das entspricht 75 Basispunkten und ist der bisher größte Zinsschritt nach oben in der Geschichte der EZB.

Damit steigt der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte auf 1,25 Prozent. Das ist gewissermaßen der wichtigste Leitzins: Banken können sich zu diesem Satz für eine Woche bei der EZB Geld leihen. Der Satz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität steigt auf 1,50 Prozent. Und mit der Einlagefazilität (täglich verfügbare Bankguthaben bei der EZB) geht es auf 0,75 Prozent hinauf. Letzterer war übrigens der Satz, der jahrelang unter null lag.

Zudem gehe der EZB-Rat derzeit davon aus, dass er die Zinssätze in den nächsten Sitzungen weiter anheben werde, „um die Nachfrage zu dämpfen und dem Risiko einer anhaltenden Aufwärtsverschiebung der Inflationserwartungen vorzubeugen“, meldet die Bank. Mit für August geschätzten 9,1 Prozent sei die Inflation nach wie vor viel zu hoch und werde wahrscheinlich für einen längeren Zeitraum über dem Zielwert liegen. Der beträgt nach wie vor 2 Prozent. Allerdings will sich der EZB-Rat nicht festlegen, die Inflationsaussichten regelmäßig neu bewerten und datenabhängig von Sitzung zu Sitzung über die Zinsen entscheiden.

Und die Anleihekäufe?

Noch immer sind zwei Anleihekaufprogramme aktiv (wenngleich ohne neue Nettokäufe): das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) und das Pandemie-Notkaufprogramm (PEPP).

Beim APP sollen zumindest die Bestände nicht sinken. Werden Anleihen fällig, will die EZB für das Geld nach wie vor neue Papiere am Markt kaufen. Damit entzieht sie dem Markt kein Geld, und zwar „in jedem Fall so lange, wie es zur Aufrechterhaltung einer reichlichen Liquiditätsversorgung und eines angemessenen geldpolitischen Kurses erforderlich ist“.

Beim PEPP hat sie einen festen Termin im Blick. Sie will fällig werdendes Geld noch bis Ende 2024 wieder in Anleihen reinvestieren. Beim Umschichten will die EZB bis dahin darauf achten, „dass eine Beeinträchtigung des angemessenen geldpolitischen Kurses vermieden wird“. Das ist reichlich vage, könnte aber damit zusammenhängen, dass sich die Renditen auf Euro-Staatsanleihen derzeit höchst unterschiedlich entwickeln.

Inzwischen bekommt die Tatkraft der EZB einigen Beifall. So schreibt der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, auf Twitter:

Die heutige EZB-Leitzins-Erhöhung um 75 Basispunkte hat sich in den letzten Wochen bereits angekündigt und ist auf Grund der Datenlage gerechtfertigt. Es ist der nächste Schritt in einer Reihe von Zinserhöhungen, die wohl noch bis Ende des Jahres vollzogen werden. Die EZB hat im Moment keine andere Wahl. Zwar ist sie gegen einen der zentralen Preistreiber – die steigenden Energiepreise – weitestgehend machtlos. Aber sie muss darauf achten, dass die Inflationserwartungen nicht aus dem Ruder laufen. Das starke Signal heute soll zu erkennen geben, dass die EZB gewillt ist, der hohen Inflation entschlossen entgegenzutreten.

Auch Mirjam Mohr, Vorständin für das Privatkundengeschäft beim Baufinanzierer Interhyp meldet sich:

Ein Paukenschlag: Die Europäische Zentralbank bekämpft die Inflation entschlossen – die historische Leitzinserhöhung von 0,75 Prozentpunkten ist ein klares Signal, die straffere Geldpolitik noch konsequenter als bisher weiterzuführen. Die Bauzinsen haben sich in Erwartung einer deutlichen Leitzinserhöhung von ihrem Zwischentief im August bereits wieder nach oben bewegt, von 2,7 Prozent auf aktuell rund 3,2 Prozent. Wir gehen nach der EZB-Entscheidung von Volatilität, aber grundsätzlich von weiter leicht steigenden Bauzinsen in den nächsten Monaten aus. Bis zum Jahresende erwarten wir Zinsen um etwa 3,5 Prozent für zehnjährige Darlehen. Angesichts der Nervosität der Märkte sind Schwankungen weiterhin wahrscheinlich.

Und Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Union Investment, meint:

Mit einer Zinserhöhung um 75 Basispunkte nimmt die EZB nun den größten Zinsschritt in ihrer Geschichte vor. Nur in der Finanzkrise 2008 gab es etwas vergleichbares, allerdings in die Gegenrichtung. Das zeigt den Ernst der Lage. Gleichzeitig geben die Währungshüter auch den Sparern ein deutliches Signal: Die Nullzinspolitik ist zu Ende! In den nächsten zwei Sitzungen bis zum Jahresende dürfte die EZB die Zinsen dann um weitere 50 beziehungsweise 25 Basispunkte anheben.

Der heutige Rekord-Zinsschritt dürfte ein Zugeständnis an die Falken im EZB-Rat sein, damit diese nicht auf ein baldiges Ende der Refinanzierungen fälliger Anleihen aus dem APP-Wertpapierkaufprogramm drängen. Denn ein Bilanzabbau würde die Anleihen aus Euro-Peripherieländern in einer angespannten Marktlage belasten und käme darum ungelegen.

autorAutor
Andreas

Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

kommentare

Hinterlasse eine Antwort

kommentare

Hinterlasse eine Antwort