Sitz der EU-Kommission in Brüssel © picture alliance/dpa/Belga | James Arthur Gekiere
  • Von Redaktion
  • 25.05.2023 um 09:36
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Ein generelles Provisionsverbot für die Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten steht nicht im Gesetzesentwurf zur EU-Kleinanlegerstrategie – trotzdem steht die Finanz- und Versicherungsbranche in der Pflicht, sich zu wappnen. Das meinen Jochen Kindermann und Udo Pickartz von der Kanzlei Simmons & Simmons. Hier geht es zu ihrer ausführlichen Analyse.

Die EU-Kommission hat ihre finalen Pläne für die EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy) vorgestellt. Mit der neuen Richtlinie soll die Beteiligung von Kleinanlegern am Kapitalmarkt durch strenge Schutzmaßnahmen und durch kostensenkende Regelungen verstärkt werden. Hierzu plant die EU, eine Verbesserung der Transparenz, insbesondere in Bezug auf die Kosten, verschärfte Vorschriften gegen irreführende Marketingkommunikation, Vorschriften zur Gewährleistung einer unparteiischen und qualitativ hochwertigen Beratung sowie dafür, dass die an Kleinanleger vertriebenen Produkte ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. 

Sowohl auf Anlegerinnen und Anleger als auch auf die Finanz- und Versicherungsbranche kommen damit erneut einige wesentliche Veränderungen zu. Gleichzeitig bleibt bei einigen Punkten weiterhin ein großer Interpretationsspielraum, der zu Rechtsunsicherheit bei Finanz- und Versicherungsunternehmen führen könnte und weiterer Spezifizierung bedarf.

Zwar ist ein generelles Provisionsverbot nicht in der Richtlinie enthalten, doch für Teilbereiche des Marktes könnte die vorgeschlagene Regelung sehr wohl relevant werden. Über das vorgesehene Provisionsverbot bei „execution-only“-Geschäften zusammen mit dem kommentierenden Q&A könnte nach unserer Einschätzung das ursprüngliche Ziel der EU-Kommission eines generellen Provisionsverbots zumindest zum Teil doch verwirklicht werden.

Speziell mit Hinblick auf Provisionen im Bereich Versicherungen legt der Richtlinienentwurf fest, dass den Anlageinteressenten und späteren Kunden Informationen zu den direkten und indirekten Kosten der Produkte und Anlagen mitgeteilt werden. Neu ist dabei die Pflicht, auch über die Kosten jährlich zu informieren. Nach unserer Ansicht bedeutet dies, dass sich nicht nur die Produktinformationsblätter, sondern auch die Wert- und Performancemitteilungen werden ändern müssen.

Hier wird es interessant sein, wie die entsprechenden Kosten auszuweisen und zu berechnen sind, da insbesondere bei Lebensversicherungen eine Verteilung von Kosten über einen Teil der Laufzeit stattfindet. Wie bei jeder Richtlinie stellt sich ferner die Frage, wie die Umsetzung in nationales Recht aussieht und ob eine uneinheitliche Umsetzung dem erklärten Ziel der EU, den EU-Kapitalmarkt zu vereinheitlichen und zu stärken, nicht entgegenläuft.

Provisionsverbot nur aufgeschoben – Finanzbranche sollte sich vorbereiten

Auch wenn ein generelles Provisionsverbot für die Vermittlung von Finanz- und Versicherungsprodukten nicht in die EU-Richtlinie integriert wurde, ist die Finanz- und Versicherungsbranche in der Pflicht, sich zu wappnen. Die EU-Kommission hat klargemacht, dass die im Vorfeld durchgeführte Konsultation durchaus Argumente für ein generelles Provisionsverbot geliefert hat. Drei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regeln will die Kommission prüfen, ob die gewünschten Verbesserungen eingetreten sind. Sollte es weiter aus ihrer Sicht verbraucherschädliche Praktiken geben, könnte ein generelles Provisionsverbot also spätestens in drei Jahren auf den Weg gebracht werden.

Unternehmen der Finanzbranche ist vor diesem Hintergrund zu raten, das Thema anzugehen und sich frühzeitig Gedanken über ein generelles Provisionsverbot zu machen. Die Konsequenz wird vielfältig sein. Es geht einerseits darum, für sich zu definieren, wie Beratung künftig ausgestaltet wird und welchen Stellenwert unabhängige Beratung haben soll. Andererseits werden sich auch diverse Dokumentationsprozesse ändern müssen.

In der Versicherungsbranche ist ein Provisionsverbot schon lange Thema, selbst in Sparten, die mit Investments nichts zu tun haben. Als Hintergrund wurde und wird regelmäßig die Vermeidung möglicher Interessenkonflikte genannt. Es stellt sich die Frage, ob der derzeitige Entwurf der Richtlinienverordnung hier nicht bereits ein Schritt der Einführung eines Verbots durch die Hintertür und der nächste Schritt zur verpflichtenden Honorarberatung ist.

Provisionsverbot bei „execution-only“-Geschäften: Hemmschwelle für Anleger?

Einige Vorgaben in der EU-Richtlinie könnten das Ziel, Anleger stärker am Kapitalmarkt zu beteiligen, im Ergebnis konterkarieren. Beispielsweise würde ein Provisionsverbot bei „execution-only“-Geschäften beim Kauf eines Fonds anfallende Ausgabeprovisionen, jährlich wiederkehrende Bestandsprovisionen für das Halten von Fonds im Bestand, aber auch die bei Neobrokern besonders umsatzrelevanten und jeweils beim Kauf von ETFs anfallenden Kickbacks betreffen. Dem bisherigen Geschäftsmodell von Neobrokern, die durch benutzerfreundliche Apps viele Anleger für den Kapitalmarkt gewonnen haben, könnte dadurch die Grundlage entzogen werden. Eine Einführung von monatlichen Abogebühren oder auch die Erhöhung von Transaktionsgebühren könnten denkbare Folgen sein. Dies könnte wiederum die Nutzerzahlen stark sinken lassen und somit abschreckend auf eine Beteiligung am Kapitalmarkt wirken.

Seite 2: Verschärfte Transparenzpflichten für Anlageberater

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