Jens Patze ist Produktmanager bei der Helvetia Leben. © Helvetia
  • Von Oliver Lepold
  • 14.04.2021 um 08:42
artikel drucken artikel drucken
lesedauer Lesedauer: ca. 02:55 Min

Arbeitsunfähigkeit kann über eine eigene Klausel in einem BU-Vertrag abgesichert werden. Helvetia-Experte Jens Patze über die Vorteile und Tücken dieser Klausel, die nun zunehmend auch für Grundfähigkeitsversicherungen abgeschlossen werden kann.

Pfefferminzia: Wie ist Arbeitsunfähigkeit (AU) im Vergleich zur Berufsunfähigkeit (BU) definiert?

Jens Patze: Das sind unterschiedliche gesetzliche Definitionen. Eine Arbeitsunfähigkeit kann kurzfristig auftreten. Die berufliche Tätigkeit kann dann nicht mehr oder nur bei Gefahr einer Verschlimmerung der Erkrankung ausgeführt werden. Der Arzt stellt ein entsprechendes Attest aus. Berufsunfähigkeit setzt aber einen Mindestzeitraum von sechs Monaten und einen Mindestgrad der Berufsunfähigkeit von in der Regel 50 Prozent voraus. Es treten jedoch häufig Überschneidungen auf, wenn eine AU länger dauert.

Wie ergänzen AU-Klauseln in BU- oder Grundfähigkeitsversicherungen (GF) das Leistungsspektrum?

Wesentliches Ziel der AU-Klausel ist, dem Kunden einen zusätzlichen vereinfachten Leistungsauslöser zu bieten. Die BU leistet bekanntlich nur, wenn 50 Prozent BU-Grad erreicht sind. Die AU leistet unabhängig davon. Das Leistungsfeld einer BU-Versicherung wird somit über die AU-Klausel erweitert. Bei der Grundfähigkeitsversicherung ist eine AU-Klausel sogar eine explizite Mehrleistung, weil die dortigen Leistungsauslöser die Einschränkung einer Grundfähigkeit voraussetzen und sonst keine Verknüpfung mit der Berufstätigkeit besteht.

Also ein echter Mehrwert?

In der Tat. Mit der AU-Klausel kommt eine zeitweise Berufsbindung in die Grundfähigkeitsversicherung und das mit einer relativ niedrigen Leistungsschwelle, die vereinfacht gesagt, nur die AU-Bescheinigung des Arztes benötigt. Und vergessen Sie nicht das Thema Psyche, das in Grundfähigkeitsversicherungen meist nicht, oder nur sehr eingeschränkt, enthalten ist. Über eine AU-Klausel sind psychische Erkrankungen vollumfänglich mitversichert, wenn sie eine Arbeitsunfähigkeit verursachen.

Wie unterscheiden sich die AU-Klauseln der Versicherer?

Das Feld ist sehr breit aufgestellt. In den vergangenen Jahren gab es verschiedene Entwicklungsschritte. Zunächst die Wahl eines maximalen Leistungszeitraums, dann die Unterscheidung, ob nur einmal oder auch mehrfach geleistet werden kann. Und schließlich eine Ausweitung des Prognosezeitraums, der nun maximal sechs Monate beträgt. Das heißt, wenn ein Arzt eine AU über sechs Monate bescheinigt, kann bereits eine Leistung erfolgen. Allerdings ist das in der Praxis kaum relevant, weil kaum ein Arzt Bescheinigungen über mehr als acht Wochen ausstellt.

Was sind suboptimale AU-Klauseln? Wo liegen typische Fallen?

Suboptimal sind Klauseln, die Risiken oder Unklarheiten produzieren. Etwa, wenn der Versicherer eine eigene AU-Definition hat und dann unter Umständen eine Krankschreibung des Arztes nicht mehr ausreicht. Das war vor allem bei den AU-Klauseln der ersten Generation der Fall. Unschön sind auch zu enge Begrenzungen in der Leistungsdauer oder der rückwirkenden Leistung. Das heißt, Kunden müssen ihre AU schnell genug melden, sonst verlieren sie Leistungsansprüche. Dabei gibt es nicht wenige Erkrankungen, die es Kunden erschweren, ihren vertraglichen Meldepflichten nachzukommen. Für den Versicherer ist das zwar risikobegrenzend, für den Kunden aber nicht wirklich fair.

Ist es vorteilhaft, wenn AU-Klauseln nicht optional, sondern schon im Tarif inkludiert sind?

Es gibt alle möglichen Varianten der Kalkulation am Markt. Wenn ein Versicherer aber nur einen Tarif mit inkludierter AU-Klausel anbietet, kann das auch von Nachteil sein. Denn manche Kunden brauchen keine AU-Klausel oder können sich damit im Leistungsfall sogar schaden. Empfehlenswert ist eine AU-Klausel in jedem Fall für GKV-Versicherte, die keine private Krankentagegeldversicherung haben, weil das gesetzliche Krankengeld immer geringer als das Nettoeinkommen ist. Auch für Selbstständige ohne Krankentagegeld (KTG) ist eine AU-Klausel sinnvoll. Oder für Studenten, die meist knapp bei Kasse sind und bei Krankheit ihre Zusatzverdienste schnell verlieren können.

Für wen kann eine AU-Klausel denn nachteilig sein?

Für Kunden, die eine private Krankentagegeldversicherung abgeschlossen haben. Berater müssen hier unbedingt deren Bedingungen prüfen. Dort gibt es Fallstricke, sowohl bei Beantragung als auch im Leistungsfall. Oftmals sehen KTG-Tarife eine Meldepflicht beim Abschluss zusätzlicher Absicherungen vor. Der Versicherer will die Gesamtleistung auf das Nettoeinkommen begrenzen. Mit einer AU-Klausel kann diese Grenze aber im Leistungsfall überschritten werden. Das führt dann dazu, dass das Krankentagegeld gekürzt wird oder sogar wegfällt. Übrigens haben nur sehr wenige Versicherer das Problem rechtssicher und lückenlos über Zusatzvereinbarungen aufeinander abgestimmt. Man ist also nicht automatisch auf der sicheren Seite, wenn beide Verträge aus einer Hand stammen.

Warum ist die AU-Klausel in der Grundfähigkeitsversicherung noch kein Standard?

Einmal sicherlich, weil es die Grundfähigkeitsversicherung noch nicht so lange am Markt gibt. Und dann wird diese oft mit vereinfachter Gesundheitsprüfung angeboten. Dies verbunden mit dem umfangreichen Leistungsumfang der AU bereitet sicher einigen Versicherern Bauchschmerzen. Helvetia hat das gelöst, indem wir bei Einschluss der AU-Klausel in der Grundfähigkeitsversicherung erweiterte Gesundheitsfragen stellen. Das ist insbesondere für die bei Antragstellung gesünderen körperlich Tätigen eine gute Lösung, denn sie erhalten damit bei uns zumindest für die ersten 24 Monate des Leistungsfalls den gleichen Versicherungsumfang wie in der BU mit AU-Klausel. Und das nur für rund die Hälfte des entsprechenden BU-Beitrags. Ich gehe davon aus, dass wir diese Kombination in der Branche bald häufiger sehen werden.

autorAutor
Oliver

Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

kommentare

Hinterlasse eine Antwort

kommentare

Hinterlasse eine Antwort