Stephan Busch (links) und Tim Schreitmüller (rechts) von CoachMeNetto interviewen Menschen aus der Branche zum Thema Honorarberatung. Dieses Mal: Constantin Papaspyratos vom Bund der Versicherten. © CoachMeNetto/privat
  • Von Redaktion
  • 26.01.2023 um 13:23
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Für die Interview-Reihe „Mit Vision – Über die Lage der Honorarberatung“ luden Stephan Busch und Tim Schreitmüller dieses Mal Constantin Papaspyratos zum Gespräch. Der Chefökonom und Leiter der Abteilung „Strategische Planung und interne Beratung“ beim Bund der Versicherten, erklärt unter anderem, was die Verbreitung der Honorarberatung noch hemmt.

Welche Ansätze und Lösungen siehst du, um die Akzeptanz für Honorarberatung in Deutschland zu steigern?

Mit bloßen Nettotarifen ist es nicht getan – zumal das Angebot sich immer noch sehr zögerlich entwickelt; im BU-Zweig ist das Angebot noch sehr überschaubar. Wie viele Versicherer sind euch bekannt, die in der KV-Sparte Nettotarife anbieten? Ganz abgesehen davon gibt es auch keine verbindlichen Standards, wann ein Tarif ein Netto- oder Honorar-Tarif ist. Auch Paragraf 48c VAG zum Durchleitungsgebot für Provisionen hilft nicht weiter, wenn Versicherer nicht bereit sind, diese Anträge anzunehmen.

Ich sehe das Problem eher darin, dass Gesetzgeber, Versicherer und Vermittler die beiden Elemente Beratung und Handel/Verkauf nicht mit der nötigen berufsrechtlichen Konsequenz geregelt haben. Für mich geht es hier um die Grundsatzfrage, ob die Versicherungsvermittlung als Ganzes ausschließlich eine gewerbliche Tätigkeit ist. Wenn man Versicherungsvermittlung vorrangig als Handelsberuf auffasst, ist das sicherlich zutreffend. Bei vielen Versicherungsmaklertätigkeiten und vor allem bei Versicherungsberatern sehe ich das anders. Diese Tätigkeiten sind für mich beratende Tätigkeiten, die für mich in die Freiberuflichkeit gehören – so wie Steuerberater oder Rechtsanwälte. Das bedeutet weitgehende Selbstverwaltung, verbindliche Gebührenordnungen, Möglichkeit zur Verkammerung und der Einrichtung von Versorgungswerken, etc.

Die Freiberuflichkeit könnte auch dazu beitragen, die Probleme beim Fachkräfte- und Nachwuchsbedarf besser zu regeln als es jetzt der Fall ist. Es wäre eine fachliche Aufwertung der beruflichen Tätigkeit und könnte dadurch auch für Frauen attraktiver werden.

Ich sehe die große Herausforderung vor dem Konkurrenzdruck, der durch (F)influencer entstehen kann

Wie sollten sich Vermittler und Berater digital bei Prozessen, Tools und bezüglich der Präsenz in sozialen Medien aufstellen?

Schauen wir uns als Beispiel die Influencerin Kim Kardashian an. Sie hat Investments in Kryptowährungen empfohlen und wurde dafür – im Zuge eines Vergleichs – von der amerikanischen Börsenaufsicht mit einem Strafgeld von über 1,2 Millionen Dollar belegt. Das beschreibt recht treffend, was Vermittler und Berater bei der sozialen Medienpräsenz beachten sollten: Es kann sich dort jeder als Experte präsentieren und Inhalte verbreiten. Zudem gibt es viele Geschäftsmodelle, die sich in einem Graubereich bewegen – und auch solche, die ganz einfach illegal sind (zum Beispiel Kryptowährungen, die es gar nicht gibt, gegen Vorkasse zum Kauf anzubieten). Niemand kann vorhersehen, wie der Gesetzgeber das Agieren in sozialen Medien zukünftig regulieren wird. Es ist also dringend anzuraten, sich von diesen pseudonymisierten Influencern deutlich abzugrenzen und sich online an die gleichen rechtlichen Standards zu halten wie offline. Das mag banal klingen, aber hier sehe ich die große Herausforderung vor dem Konkurrenzdruck, der durch (F)influencer entstehen kann.

Jede Generation hat eine andere Erwartung an das Leben und an Konsum. Geht die Versicherungsbranche in deinen Augen an dieser Stelle mit und verändert sich spürbar oder siehst du Handlungsbedarf?

Hier würde ich als These zwei Tendenzen benennen, die aktuell beispielhaft sind: Zum einen die Furcht vor Kontrollverlust und zum anderen die Motivation zur Optimierung. Beides Punkte, die man zur Kenntnis nehmen sollte, ohne sie moralisch wertend infrage zu stellen. Das äußert sich darin, so viele Bereiche des eigenen Lebens wie möglich über Informationen und Zahlen zu erfassen, daraus Rückschlüsse zu ziehen und – soweit es geht – fortlaufend zu optimieren: Das reicht von der täglichen App-gestützten Kontrolle des ETF-Depots über das Sammeln von Cashback-Punkten beim Konsum (vom Lebensmitteleinkauf bis zur Reisebuchung), bis hin zur Vereinbarung von Arztterminen über Terminbuchungs-Portale (die man auch schnell und einfach wieder stornieren kann, ohne während der Arbeitszeit dort anrufen zu müssen).

Solche Menschen sind einerseits vertrieblich schwer zu erreichen, weil sie sehr hybrid sind und so viel wie möglich selbst in die Hand nehmen möchten. Das bedeutet, dass sie die Zeit- und Geldersparnis, die sie an der einen Stelle realisieren, mit ihren Opportunitätskosten verrechnen, die sie aufwenden müssen, um sich möglichst viele Informationen selbst zu beschaffen – auch bei Finanz- und Versicherungsthemen.

Andererseits sind diese Menschen sehr offen dafür, sich die Kosten und den Wert einer Leistung aufzeigen zu lassen. Außerdem sind sie häufig bereit, dafür zu zahlen: sei es für Ernährungsberatung oder Fitness-Coaching. Hier sehe ich das Potenzial für Berater, die sie bei der Arbeitskraftsicherung mit Risikovoranfragen unterstützen. Alternativ müssten sie sich selbst um die Antragstellung bemühen – mit dem Risiko, abgelehnt oder mit einem Risikozuschlag oder Leistungsausschluss belegt zu werden, was sie wiederum als vermeidbare Kosten empfinden.

Dies erklärt im Übrigen teilweise auch den Erfolg von Geschäftsmodellen wie Netflix oder anderen Streaming-Diensten. Obwohl sie ohnehin Rundfunkgebühren bezahlen müssen, sind sie zu Mehrausgaben bereit, weil sie kontrollieren möchten, was sie wann in welchem Umfang konsumieren können. Die Mehrkosten sind für sie vertretbar und akzeptabel. Denn die Alternative wäre, ihre zeitliche Planung an den Ausstrahlungen im linearen Fernsehen auszurichten, was wiederum an anderer Stelle für sie Aufwand und Kosten bedeutet.

In den Kompositsparten – mit Ausnahme der Rechtsschutzversicherung – haben das die Versicherer durchaus erkannt und sind dort auf dem richtigen Weg. In der LV-Sparte ist das aus vielerlei Gründen noch sehr zäh. Nehmen wir das Beispiel der BU. Der Versicherungsschutz ist sehr umfänglich und leistungsstark, aber der Versicherungsfall ist sehr erklärungsbedürftig: „Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, voraussichtlich für mindestens sechs Monate nicht zu mehr als 50 Prozent ausüben kann und keine andere Tätigkeit ausübt, die die vorherige Lebensstellung erreicht“. Bei der Grundfähigkeitsversicherung ist es noch sperriger, zumal dann noch eine zweistellige Zahl von Grundfähigkeiten aufgezählt und beschrieben wird. Dieses Verständlichkeits-Defizit lässt aber wiederum Raum für eine anbieterunabhängige Beratung gegen Honorar, die allerdings auch bei der Leistungsbeantragung abrufbar sein sollte. Wer schon beim Verständnis des Versicherungsfalls überfordert ist, benötigt vor allem dann Beratungsunterstützung, wenn man die Leistung erhalten möchte.

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