Das Versandlager von Amazon in Kiekebusch, Brandenburg. „Amazon ist überall“, urteilt die Unternehmensberatung Oliver Wyman über das Versicherungsjahr 2030. © picture alliance/Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB
  • Von Lorenz Klein
  • 21.04.2020 um 13:17
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Auch in der Versicherungswirtschaft redet im Moment alles über Corona – doch eine aktuelle Studie von Oliver Wyman hat mal den Blick geweitet und die Versicherungswelt im Jahr 2030 skizziert. Demnach droht den Versicherern, Millionen Nachfrager in der Altersvorsorge zu verlieren. Außerdem werden Plattformen à la Amazon zur Selbstverständlichkeit, so die Prognose.

Die Auswirkungen der demographischen Veränderungen auf die Versicherungswirtschaft in Deutschland werden immer noch unterschätzt. So lautet eine wichtige Erkenntnis der Studie „Versicherungen 2030“, die das Beratungsunternehmen Oliver Wyman veröffentlicht hat (hier geht es zum kostenlosen Download).

Diese Tatsache überrasche, berichten die Autoren, denn bis 2030 soll es schätzungsweise 4,0 Millionen weniger Bestands- und potenzielle Neukunden im Alter bis zu 60 Jahren geben und zugleich 3,4 Millionen mehr Kunden in der Altersgruppe über 60.

Auf die neuen Prioritäten und neuen Bedarfe sei die Versicherungswirtschaft bisher nicht ausreichend vorbereitet, heißt es. „Nie zuvor ist innerhalb eines Jahrzehnts eine derart große Verschiebung um Millionen Nachfrager nach Versicherungs- und Altersvorsorgeprodukten erfolgt“, sagt Dietmar Kottmann, Partner bei Oliver Wyman und Co-Autor der Studie.

„Die Auswirkungen auf das Geschäft zu kompensieren, wird eine immense Herausforderung für alle Versicherer, zumal sich auch die Bedarfe der nachrückenden Generationen ändern“, so Kottmann. Die Unternehmen müssten daher „neue Konzepte für flexible Altersabsicherungen auch im fortgeschrittenen Alter und neue Instrumente zur Behauptung im Wettbewerb eines gesättigten Versicherungsmarktes“ entwickeln.

„Amazon ist überall“

Der Wettbewerb werde künftig härter und mit „intelligenteren Waffen“ ausgetragen: „Mehr Dynamik bei Produkt- und Preisanpassungen, intelligente Mehrjahreskalkulation zur Nutzung preislicher Spielräume auch zum Wohle des Kunden, aber ebenfalls ein rigoroses Bestandsmanagement gehören dazu“, wie die Autoren berichten.

„Amazon ist überall“, lautet eine weitere Prognose der Autoren. Wobei das nicht zwingend wörtlich zu nehmen ist, sondern vor allem veranschaulichen soll, dass die Plattformökonomie, die heute im Handel selbstverständlich ist, auch in den Versicherungsmarkt Einzug erhalten wird.

„Produkt- und Preisvergleiche für Kunden und Makler sind heute schon Alltag, umfassende Produktangebote über Drittanbieter-Plattformen der nächste Schritt“, heißt es laut Studie. Oliver Wyman prognostiziert demnach, dass Plattformen bis 2030 von bisher weniger als 30 auf über 60 Prozent des Neugeschäftes im ungebundenen Vertrieb kontrollieren werden.

Versicherer drohen „zum Teil obsolet“ zu werden

Dabei würden Versicherungsunternehmen in der Plattformökonomie mit fremden Branchen konkurrieren. „Immer leichter lassen sich Versicherungslösungen in andere Angebote integrieren oder von Anbietern außerhalb des Versicherungssektors separat über digitale Kanäle vertreiben“, schildern die Autoren. Plattform- und andere Anbieter könnten Versicherungsunternehmen „zum Teil obsolet“ machen, sie aus einzelnen Produktfeldern drängen, auf Teilfunktionen im Hintergrund degradieren oder „zur Flucht in Dienstleistungsfelder außerhalb ihres traditionellen Kerngeschäfts zwingen“, lauten mögliche Szenarien. „Aus diesem neuen Wettbewerb werden auch neue Gewinner hervorgehen“, so die Prognose.

„Plattformen ändern die Spielregeln im Drittvertrieb. Nur wer sich konsequent darauf einstellt, kann davon profitieren. Halbherzige Strategien der Vergangenheit werden zukünftig nicht mehr funktionieren”, warnt Autor Kottmann. Während in der Vergangenheit die Uhren der Veränderung langsam tickten, nutzten die Dynamischen jetzt ihre Chancen, so Kottmann. Und: Insurtechs, die sich heute schon erfolgreich über Plattformen positionierten, könnten Versicherern dabei helfen.

Versicherer mit AO werden zu kämpfen haben

Weiter gehen die Autoren davon aus, dass Versicherer mit starken Eigenvertrieben zu kämpfen haben werden, um auch zukünftig als Risikopartner des Kunden „erste Wahl zu bleiben“. „Zwei Drittel der Kunden würden für maßgeschneiderte Finanzangebote ihre Daten offenlegen, aber nur in seltenen Fällen einem Versicherer“, erwarten die Unternehmensberater – und fast 60 Prozent würden über ihre Hausbank Produkte anderer Finanzanbieter beziehen, beschreiben die Autoren die Gefahr des Kundenkontaktverlustes für die etablierten Versicherungsunternehmen.

Risikofaktor bAV

Eine weitere Bedrohung für die Branche liegt laut Studie in der ungewissen Zukunft des Altersvorsorgesystems in Deutschland. Oliver Wyman geht davon aus, dass der Staat mit weiteren Reformen noch stärker auf eine effektiv geförderte betriebliche Altersversorgung setzen wird – je nach Szenario zu Lasten der Versicherungswirtschaft. Im Extrem könnte es – dies zeigten Beispiele aus anderen Ländern – so weit kommen, dass 70 bis 80 Prozent der gesamten Neuanlagen nicht mehr über Versicherungen, sondern über Versorgungswerke und Pensionsfonds, möglicherweise sogar über einen diskutierten „Deutschlandfonds“ erfolgen.

Profiteur bKV

„Die private Krankheitskostenvollversicherung ist ebenfalls kein Wachstumsmarkt mehr für die Versicherungsunternehmen“, merken die Autoren an. „Das Damoklesschwert der Bürgerversicherung schwebt zudem immer noch über der Branche.“

Wer nicht nur abwarten wolle, steuere sein Geschäft um in Zusatzversicherungen und die betriebliche Krankenversicherung, so Kottmann. Hier entstünden neue Potenziale und Verbindungen zum digitalen Gesundheitsmarkt. Insbesondere die betriebliche Krankenversicherung im Zusammenspiel mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement wird demnach für alle Branchen „ein immer wichtigeres Mittel zur Rekrutierung und Mitarbeiterbindung“. Hier gebe es reichlich Gestaltungsraum für Versicherungsunternehmen, so die Autoren.

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Lorenz Klein

Lorenz Klein gehörte dem Pfefferminzia-Team seit 2016 an, seit 2019 war er stellvertretender Chefredakteur bei Pfefferminzia. Im Oktober 2023 hat Klein das Unternehmen verlassen, um sich neuen Aufgaben in der Versicherungsbranche zu widmen.

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