Rechtsanwalt Björn Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Informationstechnologierecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Jöhnke und Reichow
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  • 26.08.2021 um 07:46
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Der Streit über coronabedingte Leistungen in der Betriebsschließungsversicherung (BSV) setzt sich mit einem weiteren Urteil fort. Für die Hotelbetreiberin hat es sich im vorliegenden Fall gelohnt – nachdem ihre Klage zunächst abgelehnt wurde, gaben ihr die Richter am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe schlussendlich Recht. Rechtsanwalt Björn Jöhnke erläutert den Fall in einem neuen Gastbeitrag.

Der Sachverhalt vor dem OLG Karlsruhe

Die Klägerin unterhielt eine Betriebsschließungsversicherung (BSV) für ihren Hotelbetrieb. Aufgrund einer behördlich angeordneten Betriebsschließung im März 2020 wollte die Klägerin die Ersatzansprüche aus Paragraf 1, Nummer 1 in den Zusatzbedingungen (ZB) ihrer Police geltend machen. Der Versicherer verweigerte jedoch die Zahlung – so wie die meisten Versicherungen in der Pandemie. Das Landgericht wies die Klage jedoch ab. Schlussendlich landete der Fall dann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (Aktenzeichen 12 U 4/21).

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Ist das Covid-19-Virus eine meldepflichtige Krankheit im Sinne der AVB?

Der Versicherungsschutz aus der Betriebsschließung besteht nach dem Paragraf 1 Nummer 1 in den ZB-BSV nur dann „wenn [..] die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG, in der Fassung vom 20. Juli 2000) [..] beim Auftreten von meldepflichtiger Krankheiten [..] den versicherten Betrieb [..] schließt“.

Dementsprechend muss der Covid-19-Erreger in dem Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) eine meldepflichtige Krankheit sein. Das OLG Düsseldorf hatte deshalb die Klausel in Paragraf 1, Nummer 2 in den ZB-BSV „Meldepflichtige Krankheiten [..] im Sinne dieser Bedingungen [..] die folgenden, im Infektionsgesetz in den Paragrafen 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:…“ rechtlich zu bewerten.

Das OLG Karlsruhe legte die für den Prozess wesentliche Formulierung „die folgenden [..] namentlich genannten Erreger“ aus, um zu ermitteln, ob dies einen Rückschluss auf eine abschließende Aufzählung und daher eine Beschränkung auf die in der Fassung vom 20. Juli 2000 im IfSG vorzufindenden Erreger zulässt. Wäre dem so, bestünde wegen der fehlenden Auflistung des Erregers kein Versicherungsschutz.

Unklarheitenregel des Paragrafen 305c, Absatz 2 im BGB

Kann eine Klausel auf mehrere Weisen verstanden werden, so gilt gemäß des Paragrafen 305c, Absatz 2 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die für den Versicherungsnehmer günstigere Deutungsalternative. Anders als bei vorherigen Beurteilungen durch Fachgerichte konnte das OLG Karlsruhe nicht feststellen, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel als eine dynamische Verweisung verstehen kann. Demnach bestimmen sich die versicherten Erreger nicht anhand der im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls im IfSG aufgelisteten Erregern, sondern anhand der Auflistung in den AVB.

In Bezug zu den aufgelisteten Erregern würden nach dem OLG die Formulierungen „folgenden“ und „namentlich“ unmissverständlich darauf hinweisen, dass die darauffolgende Auflistung abschließend ist. Demnach findet die Unklarheitenregel keine Anwendung, die Klausel wurde in der Bewertung als abschließende Auflistung behandelt.

Verstoß gegen das Transparenzgebot

Das OLG Karlsruhe urteilte, dass die abschließende Auflistung dem Transparenzgebot des Paragrafen 307, Absatz 1, S. 2 im BGB nicht gerecht wird. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer müssen die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen hinreichend deutlich dargestellt werden. Ausgangspunkt der Bewertung war das Hauptleistungsversprechen der Betriebsschließungsversicherung.

In Paragraf 1, Nummer 1 in den ZB-BSV wird der Eindruck erweckt, dass die Deckungsverpflichtung umfassend dann eintritt, wenn die zuständige Behörde aufgrund eines Erregers im IfSG den Betrieb schließt. Eine Inbezugnahme der Paragrafen 6 und 7 im IfSG suggeriert insbesondere, dass die dort genannten Erreger deckungsgleich mit der Auflistung in den AVB ist.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer würde nicht Punkt für Punkt die einzelnen Erreger mit dem IfSG abgleichen. Die Auflistung in Paragraf 1, Nummer 2 in den ZB-BSV ist eine „optisch erschlagende Darstellung“ die den Eindruck eines besonders weitreichenden Schutzes generiert. Dies widerspricht der Bestimmtheitsanforderung des Transparenzgebotes.

Das heißt: Die Klausel ist durch die Inbezugnahme der Paragrafen 6 und 7 des IfSG irreführend. Folglich ist die Klausel unwirksam, und die Einstandspflicht bemisst sich an dem wirksam verbleibenden Paragrafen 1, Nummer 1 in den ZB-BSV, wonach eine Betriebsschließung aufgrund des IfSG die Leistungspflicht begründet.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Dieses Urteil überzeugt in Gänze. Es reiht sich in eine lange Liste stattgebender Urteile ein. Dennoch stehen dem eine Mehrzahl an abweisenden Urteilen gegenüber, welche nur teilweise überzeugen. Aufgrund dieser ganzen divergierenden Entscheidungen, liegen nunmehr bereits einige BSV-Rechtsstreitigkeiten dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor. Es bleibt abzuwarten, wie dieser sich positionieren wird.

Nachstehend können weitere gerichtliche Entscheidungen nachgelesen werden: Betriebliche Versicherungen. Weitere rechtliche Praxisfälle verbunden mit Tipps für die Vermittlerpraxis werden auf dem für Vermittler kostenfreien Vermittler-Treff besprochen. >>> Hier geht es zur Anmeldung..

Über den Autor

Rechtsanwalt Björn Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht, für Gewerblichen Rechtsschutz sowie Informationstechnologierecht bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft.

 

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