Schreibt regelmäßig Gastbeiträge für Pfefferminzia und ist auch in unserem Podcast immer wieder zu hören: Der Hamburger Rechtsanwalt Stephan Michaelis. © Kanzlei Michaelis
  • Von Stephan Michaelis
  • 14.09.2021 um 17:02
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lesedauer Lesedauer: ca. 16:55 Min

Der Ausgang der anstehenden Bundestagswahl könnte auch für Versicherungsvermittler grundlegende Veränderungen mit sich bringen. Stichwort: Provisionsverbot. Aber wäre das überhaupt rechtens? Gemeinsam mit Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Humboldt-Universität Berlin, hat sich Rechtsanwalt Stephan Michaelis dieser Frage angenommen.

Liegt das Provisionsverbot „im zwingenden Gemeinwohlinteresse“?

Es ist richtig, dass der Gesetzgeber beim Ausgleich widerstreitender Interessen über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum verfügt. Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die gesetzgeberischen Maßnahmen (hier: Provisionsverbot) abgeben können. Ausgehend von diesen Grundsätzen lautet die Grundfrage, ob die Einführung eines Provisionsverbotes für die Vermittlung von Finanzanlageprodukten im zwingenden Gemeinwohlinteresse liegt. Denkbar wäre insoweit das Interesse der betroffenen Kundinnen und Kunden, die von den Vermittlern umworben und beraten werden. Sollte ein solches zwingendes Interesse an einem Provisionsverbot aus der Perspektive der betroffenen Kundinnen und Kunden begründbar sein, so wäre im nächsten Schritt zu prüfen, ob dieses Verbot im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, geeignet und in seiner Ausgestaltung angemessen wäre.

Daneben ist die Frage zu stellen ist, ob ein solches auf Finanzanlageprodukte begrenztes Verbot mit dem Gleichheitssatz (Artikel 3 GG) in Einklang steht. Diese später zu vertiefende Frage würde sich dann stellen, wenn man aus der Perspektive des Artikel 12, Absatz 1 GG ein Provisionsverbot legitimieren könnte. Dann nämlich wäre die Frage, warum ein solches Provisionsverbot nicht auch für andere Finanz- und Versicherungsprodukte gelten müsste.

Zwingende Gemeinwohlinteressen

Die eben formulierte Grundfrage lautet, ob ein Provisionsverbot für Finanzanlageprodukte im zwingenden Gemeinwohlinteresse liegt. Die Frage impliziert einen Interessenwiderstreit zwischen den Versicherern und Vermittlern auf der einen Seite und den umworbenen Kundinnen und Kunden auf der anderen Seite. Die umworbenen Kundinnen und Kunden müssten durch die Zahlung einer Provision strukturelle Nachteile erleiden, die sie bei einem Provisionsverbot nicht erleiden würden. Im Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021 vom Bündnis 90/Die Grünen heißt es, „dass Kund*innen häufig Finanzprodukte angedreht werden, die für sie zu teurer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind“.

Deshalb, so heißt es weiter, „wollen wir weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen“. Ähnlich hat sich der VZBV mehrfach geäußert. Ohne Provision, so der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller, in einem Interview mit der Wirtschaftswoche, gäbe es sicher weniger Berater, aber die Qualität wäre höher. Dies hätten die Erfahrungen aus Großbritannien und den Niederlanden gezeigt.

Der entscheidende Vorwurf lautet: „Den Kund*innen werden häufig Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind.“ Dies, so die Schlussfolgerung, wird durch Übergang von der Provisionsberatung zur unabhängigen Honorarberatung überwunden. Genau besehen, sind es zwei Vorwürfe, um die es geht. Häufig werden Kundinnen und Kunden zu teure, zu riskante oder schlicht ungeeignete Finanzprodukte vermittelt. Die Ursache dafür liegt im Provisionssystem. Deshalb muss an die Stelle des Provisionssystems das Honorarsystem treten.

a) Finanzprodukte zu teuer

Der erste Vorwurf lautet, dass Finanzprodukte häufig zu teuer vermittelt werden. Ein solcher Vorwurf ist grundlegend und würde, sollte er sich als zutreffend herausstellen, einerseits die Finanzaufsicht Bafin zwingen, im Wege der Missstandsaufsicht gegen Versicherer vorzugehen (Paragrafen 294 und folgende im VAG). Andererseits würden Versicherer und Vermittler ihre Wohlverhaltenspflichten nach Paragraf 1a VVG ebenso wie ihre Beratungspflichten nach Paragraf 7c VVG verletzten und somit den Kundinnen und Kunden auf Schadensersatz (zum Beispiel Rückgängigmachung des Vertrages) haften (Paragrafen 6, 63 VVG).

Sucht man in der Literatur nach empirischen Untersuchungen, wonach Finanzanlageprodukte zu teuer sind, so wird man nicht fündig. Schon die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Finanzanlageprodukt zu teuer ist, wird nicht beantwortet. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn auf den Märkten für Finanzanlageprodukte herrscht freier Wettbewerb. Die Preise für die Produkte und die Preise für die Vermittlung der Produkte folgen den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage.

Die Kundinnen und Kunden haben die Wahl zwischen einer Vielzahl von Produkten und Anbietern. Die Produkte werden zunehmend über Vergleichsportale täglich auf ein angemessenes Preis-Leistungsverhältnis geratet. Die Kundinnen und Kunden können zwischen gebundenen Vertretern, Maklern, Honorarberatern und Finanzberatern frei wählen. Sollte ein Produkt aus der Perspektive eines Kunden „zu teuer“ sein, so wird dieser Kunde über die Berater und/oder Vergleichsportale herausfinden, ob es vergleichbare günstigere Produkte gibt und dann diese wählen.

Anders formuliert: Es gibt im Augenblick keinerlei empirische Nachweise dafür, dass bei der Finanzanlageberatung prinzipiell „zu teure“ Produkte angeboten und vertrieben werden. Dies wäre dann – und nur dann – möglich, wenn der Markt für Finanzanlageprodukte monopolisiert wäre. Davon kann keine Rede sein, denn der Markt für Finanzanlageprodukte ist frei, unverfälscht und effektiv. Das heißt, der Wettbewerb funktioniert im Sinne der Artikel 119 und 120 AEUV. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Finanzanlageprodukte strukturell überteuert sind. Wenn und soweit dies im Einzelfall der Fall sein sollte, so hat die Bafin nach den Paragrafen 294 und folgend das Recht, mithilfe des VAG gegen Unternehmen vorzugehen, deren Produkte überteuert sind.

Das Gleiche gilt mit Blick auf die Höhe der Provisionen. Ob Provisionen aus der Sicht der Kunden zu teuer sind, entscheidet derzeit der Markt. Die Kunden können zwischen Brutto- und Nettoprodukten und insoweit zugleich zwischen der Provisions- und der Honorarberatung wählen. Bei Privatbanken, Vermögensverwaltern und Robo-Advisern werden keine produktspezifischen Abschlusskosten, sondern Flat-fees pro Jahr berechnet.

Als Folge von Pauschalvergütungen scheint der Kundenkontakt zu den Beratern gestiegen zu sein; auch die Portfolio-Effizienz scheint sich in diesem System zu verbessern. Ergebnisse dieser Art könnten zu der Frage führen, ob es sich anbietet, im Markt Flat-fee-Vergütungssysteme verstärkt anzubieten. Jedenfalls öffnet der Markt schon heute den Kundinnen und Kunden den Zugang zu unterschiedlichen Provisions- und Honorierungssystemen, so dass jeder selbst entscheiden kann, welches System für sie oder ihn den höchsten Kundennutzen verwirklicht.

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Stephan

Stephan Michaelis

Rechtsanwalt Stephan Michaelis verfügt über langjährige Erfahrungen im Vertriebs- und Versicherungsrecht. 1998 gründete er die Kanzlei Michaelis in Hamburg. Seine Fachgebiete sind Handels- und Vertriebs- sowie Versicherungsrecht.

kommentare
paule degen
Vor 3 Jahren

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Ihre Artikel auch weiterhin in verständlichem Deutsch zu schreiben und diesen nervigen Genderunsinn zu unterlassen. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen lehnt diesen Sternchenquatsch ab, so wie ich auch.

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paule degen
Vor 3 Jahren

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Ihre Artikel auch weiterhin in verständlichem Deutsch zu schreiben und diesen nervigen Genderunsinn zu unterlassen. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen lehnt diesen Sternchenquatsch ab, so wie ich auch.

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