Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. © picture alliance / Daniel Kalker
  • Von Karen Schmidt
  • 20.01.2023 um 12:33
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Eine Mutter pflegt ihren autistischen Sohn und schlittert in die Insolvenz. Darf der Insolvenzverwalter das Pflegegeld, das an die Mutter weitergeleitet wird, zum pfändbaren Arbeitseinkommen hinzurechnen? Nein, urteilte nun der Bundesgerichtshof.

Was ist geschehen?

Eine Mutter ist in Zahlungsschwierigkeiten geraten und muss ein Insolvenzverfahren durchlaufen. Bei ihr lebt ihr autistischer Sohn, für den sie Pflegegeld zur Versorgung bekommt. Der Insolvenzverwalter beantragt, zur Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens das Arbeitseinkommen mit dem Pflegegeld zusammenzurechnen. Der Fall landet vor Gericht.

Das Urteil

Das Landgericht Oldenburg urteilt, dass gemäß Paragraf 54 Absatz 3 Nummer 3 SGB I solche Sozialleistungen unpfändbar seien, die zum Ausgleich körper- oder gesundheitsbedingten Mehrbedarfs bestimmt sind (Aktenzeichen 4 T 701/21). Das gelte auch für das Pflegegeld nach Paragraf 37 SGB XI.

Der BGH schließt sich im Ergebnis dieser Meinung an (IX ZB 12/22). Das Pflegegeld, das die Frau bezieht, falle zwar nicht unter die Pfändungsschutzvorschriften des Paragrafen 54 SGB I. Die Frau selbst sei schließlich nicht pflegebedürftig, sondern ihr Sohn. Ihm stehe daher auch das Pflegegeld zu.

Aber: Die Mutter ist Pflegeperson ihres Sohnes. Das Pflegegeld wird daher an sie weitergeleitet. Gemäß Paragraf 13 Absatz 6 Satz 1 SGB XI bleibe Pflegegeld, welches an eine Pflegeperson weitergeleitet wird, bei der Ermittlung von Unterhaltsansprüchen und Unterhaltsverpflichtungen der Pflegeperson grundsätzlich unberücksichtigt, heißt es in der Urteilsbegründung.

Außerdem stelle das Pflegegeld seiner Konzeption nach kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen dar, heißt es weiter. „Es setzt vielmehr den Pflegebedürftigen in den Stand, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die mit großem Einsatz und Opferbereitschaft im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen. Das Pflegegeld bietet somit einen Anreiz zur Erhaltung der Pflegebereitschaft der Angehörigen, Freunde oder Nachbarn“, schreiben die Richter in der Urteilsbegründung.

Und weiter: „Die genannten Ziele des Pflegegeldes, die Autonomie des Pflegebedürftigen zu stärken und einen Anreiz für die Aufnahme und Fortsetzung einer häuslichen Pflege zu schaffen, würden nicht erreicht, wenn das Pflegegeld zwar beim Pflegebedürftigen unpfändbar bliebe, bei der Pflegeperson aber als nach den allgemeinen Vorschriften pfändbares Arbeitseinkommen behandelt würde. Der Pflegebedürftige will die Pflegeperson für ihren Einsatz belohnen, nicht aber deren Gläubiger befriedigen oder in anderer Weise begünstigen. Dieses Interesse ist rechtlich schutzwürdig.“

autorAutorin
Karen

Karen Schmidt

Karen Schmidt ist seit Gründung von Pfefferminzia im Jahr 2013 Chefredakteurin des Mediums.

kommentare
F. Peters
Vor 1 Jahr

Top Urteil! Wenn doch nur alle Urteile in diesem Land so weise, gerecht und vernünftig wären …

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F. Peters
Vor 1 Jahr

Top Urteil! Wenn doch nur alle Urteile in diesem Land so weise, gerecht und vernünftig wären …

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