Marco Metzler ist Rating-Spezialist und verfügt über viele Jahre Erfahrung in der Versicherungsbranche, etwa aus seiner Zeit als Finanzchef von Prisma Life in Liechtenstein. © Metzler-Ratings
  • Von Redaktion
  • 06.07.2023 um 15:28
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In Italien ist der kleine Lebensversicherer Eurovita unter den aufgelaufenen stillen Lasten zusammengebrochen – die Pleite der Cinven-Tochter sei ein Warnschuss für die hiesige Branche, meint der Rating-Spezialist Marco Metzler. Hier erläutert er, was die Lage in Italien von Deutschland unterscheidet, warum ein Aussitzen der stillen Lasten nicht so einfach ist und warum ein Storno-Verbot durch die Bafin besonders brisant wäre.

Die Hoffnung, die stillen Lasten einfach aussitzen zu können, indem die niedrig verzinsten Anleihen im Bestand einfach bis zur Endfälligkeit gehalten werden, haben viele Manager deutscher Lebensversicherer. Diese Hoffnung ist jedoch trügerisch. Sobald die stillen Lasten nämlich erst einmal einen Wert von 20 Prozent der Kundengelder erreicht haben, wird es für die Zukunft schwierig. Dann steht die Zukunftsfähigkeit – und somit die Nachhaltigkeit – des Lebensversicherers auf dem Spiel, da kaum noch Kapital für renditeträchtigere Anlagen zur Verfügung gestellt werden kann. 

Ein Lebensversicherer mit 20 Prozent stillen Lasten kann keinesfalls mit einem positiven ESG-Rating rechnen und disqualifiziert sich damit bei privaten und institutionellen Investoren. Doch deutschen Lebensversicherern können noch weitere Gefahren drohen: Zum einen eine erhöhte Stornowelle von Privatkunden und zum anderen ein markanter Rückgang im Einmalbeitragsgeschäft mit institutionellen Kunden. Zwar ist eine erhöhte Stornowelle bei privaten Kunden bundesweit derzeit nicht zu sehen, jedoch kann sie – etwa wegen der hohen Inflation – für die nahe Zukunft auch nicht ausgeschlossen werden. 

Wann den Lebensversicherern Liquiditätsengpässe drohen

Schlimmer sieht es derzeit bei der zweiten Gefahrenquelle aus. So betreiben einige Lebensversicherer bisher in großem Umfang institutionelles Einmalbeitragsgeschäft. Inzwischen ziehen institutionelle Kunden diese Gelder verstärkt ab. Beispiel Gothaer Leben: Dieser Versicherer meldet – bei rund 16 Milliarden Euro Kapitalanlagen – stille Lasten von 2,6 Milliarden Euro, was einer Quote von 16,3 Prozent entspricht. Und das bei einem HGB-Eigenkapital von knapp 0,5 Milliarden Euro. Zudem verzeichnet die Gothaer Leben einen deutlichen Rückgang im institutionellen Einmalbeitragsgeschäft, das bisher in signifikantem Umfang betrieben wurde. 

Bei weiter steigenden Zinsen kann das hier zu Stornovolumina führen, bei denen in großem Umfang stille Lasten ergebniswirksam realisiert werden müssten. Käme es in dieser Situation dann auch noch zu massenhaften Kündigungen von Privatkundenpolicen, wäre die Gothaer – aber auch andere deutsche Lebensversicherer – plötzlich in einer misslichen Lage: Es entstünden Liquiditätsengpässe. Kapitalanlagen, die unter Kaufwert notieren, müssten mit hohen Verlusten verkauft werden und letztlich könnten womöglich nicht mehr alle Kundenforderungen bedient werden.

Die eigentliche Gefahr: Wenn die Bafin das vorzeitige Storno untersagt

Dann käme es im Gegensatz zu Italien zu einem oder sogar mehreren Protektor-Fällen. Wie das Beispiel Eurovita zeigt, ist dabei die eigentliche Gefahr für die Kunden nicht, dass der Versicherer die kompletten Kundengelder verliert, sondern dass die Aufsichtsbehörde Bafin das vorzeitige Storno untersagt und die Kunden ihre Gelder mit geringer Verzinsung bei hohen Inflationsraten über Jahre hinweg bis zur Endfälligkeit in der Police belassen müssen. Dies führt letztlich dazu, dass sie am Ende einen erheblichen Realzinsverlust zu tragen haben.

Zudem kommen in einem solchen Szenario sowohl institutionelle als auch private Kunden, die auf eine vorzeitige Kündigung angewiesen sind – etwa weil institutionelle Anleger Verluste aus Zinsdifferenzgeschäften ausgleichen oder private Kunden wegen gestiegener Zinsen höhere monatliche Raten zur Finanzierung ihres Eigenheims leisten müssen – nicht an die von ihnen dann dringend benötigte Liquidität.

Angesichts der negativen Realverzinsung empfiehlt Metzler Ratings den Versicherungsnehmern klassischer Lebensversicherungen, genau durchzurechnen, ob sich die Fortführung ihrer bisherigen Police überhaupt noch lohnt. Oder ob sie diese nicht besser in eine fondsgebundene Lebensversicherung eintauschen, bei der in Sachwertfonds investiert wird, die dank ihrer Investitionsschwerpunkte auf Realwerte eine Verzinsung über der Inflationsrate erwirtschaften können. Den Besitzern von Fondspolicen rät Metzler zu überlegen, ebenfalls in Sachwertefonds umzuschichten.

Über den Autor:

Marco Metzler verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der europäischen Versicherungsbranche. Als ehemaliger Finanzchef von Prisma Life in Liechtenstein leitete er die größte Lebensversicherungsgesellschaft des Landes. Zuvor war er als Direktor bei Fitch Ratings, der Deutschen Bank und der UBS tätig. Sein Fachwissen umfasst Geschäftsplanung, Vermögensverwaltung, Fusionen und Übernahmen (M&A). Metzler hat an der EBS – European Business School, der Bocconi-Universität und der Cologne Business School in Betriebswirtschaftslehre promoviert.

kommentare
Stefan
Vor 11 Monaten

Wertvolle, brilliante Kommentierung, das Problem der erheblichen Akquise von Enmalbeiträgen wird für einige LVU (mit hohen Stornoquoten) nun offensichtlich. Der Zinsansieg ist zu rapide.

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Stefan
Vor 11 Monaten

Wertvolle, brilliante Kommentierung, das Problem der erheblichen Akquise von Enmalbeiträgen wird für einige LVU (mit hohen Stornoquoten) nun offensichtlich. Der Zinsansieg ist zu rapide.

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