Aktuar Simson Heiß von Helvetia Leben. © Helvetia
  • Von Oliver Lepold
  • 12.03.2021 um 08:20
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Inwieweit sind Garantiezinsen und Beitragsgarantien angesichts der andauernden Niedrigzinsphase in der Altersvorsorge noch haltbar? Aktuar Simson Heiß von Helvetia nimmt Stellung zu diesem drängenden Problem in der Versicherungswirtschaft.

Pfefferminzia: Die Deutsche Aktuarvereinigung empfiehlt eine Senkung des Höchstrechnungszinses in der Lebensversicherung ab 2022 auf 0,25 Prozent. Welche Auswirkungen drohen bei Ausbleiben dieser Maßnahme?

Simson Heiß: Viele Versicherer haben zum Jahreswechsel den Rechnungszins individuell gesenkt. Der gesetzliche Höchstrechnungszins liegt zwar noch bei 0,9 Prozent, jedoch berechnen zahlreiche Anbieter ihre Rückstellungen bereits mit 0,5 oder 0,4 Prozent oder sogar mit 0 Prozent. Nur noch wenige Ausnahmetarife – teils in der betrieblichen Altersversorgung – legen die 0,9 Prozent noch im klassischen Sinn zu Grunde. Dieser Trend wird weitergehen. Angesichts der Situation ist die Empfehlung der DAV sinnvoll.

 Auch die 100-prozentige Beitragsgarantie steht aktuell in der Diskussion. Welches Niveau halten Sie für zielführend?

Grundsätzlich sollten Garantien frei wählbar sein. Ich halte momentan ein Maximum von 80 Prozent für sinnvoll, allerdings ist dann kaum Spielraum für ein chancenreicheres Investment vorhanden. Wenn ein Produkt noch sinnvolle Rendite liefern soll, wäre ein Niveau von bis zu 50 Prozent eher angemessen. Man sollte den Begriff Garantie in der Beratung zudem nicht zu sehr in den Vordergrund stellen. Dem Endkunden ist Sicherheit wichtig. Diese kann jedoch besser durch andere Mechanismen erreicht werden: Zum Beispiel in einem fondsgebundenen Produkt durch ein Ablaufmanagement und ein angemessenes Investment.

Wie sicher sind Altverträge mit 4 Prozent Höchstrechnungszins noch?

Die Versicherer sichern bereits seit Jahren die Altbestände über die Zinszusatzreserve ab. Mittels eines Referenzzinses werden Rückstellungen gebildet für den Bestand mit höheren Garantiezinsen. Das Sicherungssystem war zunächst sogar zu streng ausgelegt und wurde zwischenzeitlich noch einmal nachjustiert. Die Versicherungsbranche hat es auf diese Weise bislang eigenständig geschafft, Altversprechen einzuhalten. Die Politik hat uns damit allein gelassen.

Warum hätte die Politik eingreifen sollen?

Ich nenne ein Beispiel: Wenn ein Erdbeben das Straßennetz in Deutschland großflächig zerstören würde, wären viele Unternehmen gefährdet, die vom Verkehr abhängen. Da würde es der Staat für richtig halten, den schnellen Wiederaufbau voranzutreiben. Die Menschen wären entsetzt, wenn die Politik sagen würde: Auf den Straßenverkehr setzen wir von heute auf morgen nicht mehr, Autos gehören verschrottet. So ähnlich läuft das jedoch in unserer Branche. Der Zins wurde aktiv „verschrottet“ und die Politik lässt uns weitgehend allein. Eine verlässliche Altersvorsorge mit ordentlicher Rendite ist aber sehr wichtig, um die Altersversorgung der Bevölkerung auch über die nächsten Jahrzehnte aufrechterhalten zu können und Sozialversicherungssysteme zu entlasten.

Welche Entwicklungen bei den Überschussbeteiligungen in den bestehenden Verträgen beobachten Sie?

Die laufende Gesamtverzinsung im Markt liegt im Jahr 2021 bei etwa 2 Prozent. Dazu kommen noch Schluss-, Kosten- und Risikoüberschüsse. Das ist eine große Leistung der Versicherer in diesem Zinsumfeld. Dass dies häufig nicht dem entspricht, was den Kunden beispielsweise Ende der neunziger Jahre hochgerechnet wurde, ist die andere Seite der Medaille. Der Gesetzgeber setzt sehr starke Leitplanken, was Investmentmöglichkeiten und die Aktienquote klassischer Tarife anbelangt. Aktienanteile müssen sehr stark mit Eigenkapital hinterlegt werden, was dazu führt, dass die Aktienquoten relativ gering sind.

Sind Garantien anhand der immer weiter steigenden Garantiekosten überhaupt noch vertretbar in der Altersvorsorge?

Wir sollten dem Kunden erklären, was ihn die gewählte Garantie an Rendite kostet. Er muss ein Bewusstsein dafür entwickeln. Die Produktinformationsstelle Altersvorsorge, PIA, teilt Produkte in Chancen-Risiko-Klassen ein und arbeitet dazu mit Szenarien. Doch diese entsprechen für Aktienverläufe bei weitem nicht der Realität. Sie suggerieren dem Kunden unverhältnismäßig hohe Risiken. Dabei bieten aktienlastige, fondsgebundene Produkte auf lange Dauer die höchste Sicherheit, gesteckte Altersvorsorgeziele zu erreichen. Beispielsweise hätte bei laufender Beitragszahlung die Wertentwicklung eines monatlichen Dax-Investments aller möglichen 30-Jahres-Zeiträume der Vergangenheit zwischen 5 und 12 Prozent gelegen und damit in jedem Fall deutlich oberhalb möglicher Garantiezinsen.

Wie beurteilen Sie das bestehende Angebot von Altersvorsorge-Produkten, die ohne Garantien in die Kapitalmärkte investieren?

Ich halte die bestehende Produktpalette für sehr flexibel und bezüglich des Investments auch für sehr facettenreich. Die Kosten sind auch nicht so hoch, wie es häufig suggeriert wird. Bei Einmalbeiträgen etwa erkennt man das sehr schön. Hier kommen den Kunden die Rückvergütungen aus den Fonds als Überschüsse zu. Bei einer Anlage in Depots hingegen bestehen intransparente Kosten, etwa für das Fondsmanagement, und die Bank vereinnahmt selbstverständlich die Rückvergütung. Man darf auch nicht vergessen, dass fondsgebundene Produkte Investment-Freiheiten mit der kollektiven Kapitalanlage und dem kollektiven Langlebigkeitsschutz kombinieren. Dies sind neben steuerlichen Vorteilen unabdingbare Faktoren für die Altersvorsorge.

Welche Altersvorsorge-Produkte könnten von den aktuellen Entwicklungen in Sachen Garantiezins in Zukunft besonders profitieren?

Investmentorientierte fondsgebundene Produkte, sowohl als Einzel- oder als kollektives Investment, profitieren sehr stark. Wir sollten jedoch nicht den Fehler machen, dem Kunden zu suggerieren, dass höhere Garantien mit höheren Renditechancen einhergehen. Dies wird häufig getan etwa bei Indexpolicen, die eine Garantie aufweisen und lediglich die Überschüsse in Indexzertifikate investieren.

Wo liegt hier das Problem?

Diese Produkte werden teilweise mit 5 oder 6 Prozent hochgerechnet. Einen Überschuss von beispielsweise 2 Prozent in Zertifikate zu investieren, ist nichts anderes als eine Wette an der Börse. Zu erwarten sind folglich nicht mehr als die 2 Prozent abzüglich der Kosten des Emittenten der Zertifikate. Auf dem Jahrmarkt kann es vielleicht einmal vorkommen, dass ein Losverkäufer sich verkalkuliert und aus Versehen zu viele Gewinne in den Lostopf legt. Da für viele Kunden höhere Renditen notwendig sind, um ihre Versorgungsziele zu erreichen, sollte man an der Börse nicht auf systematische Wettgewinne setzen. Es gibt genügend andere Möglichkeiten eines chancenreichen Investments – und Wertschwankungen helfen bei einer kontinuierlichen Altersvorsorge langfristig sogar.

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Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

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