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Ärzte operieren am offenen Herzen: In manchen Dread-Disease-Modulen ist nur eine Herzkrankheit abgesichert. © Getty Images
  • Von Redaktion
  • 26.11.2015 um 09:46
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lesedauer Lesedauer: ca. 05:10 Min

Vor etwas mehr als acht Jahren kam die erste Funktionelle Invaliditätsversicherung auf den Markt. Seitdem folgte eine ganze Reihe weiterer Produkte. Aber dennoch ist diese eigentlich sinnvolle Absicherung noch nicht seinen Kinderschuhen entwachsen, sagt Nicola-Alexander Sittaro, Experte für Versicherungsmedizin. In seinem Gastbeitrag geht er auf Ursachensuche.

Bei der Entwicklung neuer Biometrie-Produkte wagen die Marketing-Experten und Produktentwickler der Versicherungsgesellschaften genau genommen schon lange keine großen Sprünge mehr. Ein paar Schräubchen hier, ein paar kesse Werbeaussagen dort und fertig ist ein altes Produkt im neuen Gewand.

Eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen der vergangenen Jahre war hingegen die Funktionelle Invaliditätsversicherung (FIV). Sie schuf bezahlbaren Versicherungsschutz in der Lücke zwischen gesetzlicher Sozialversicherung, Dread-Desease-Produkten und der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Vielleicht kein Quantensprung, aber doch während einer Zeit des Stillstands bei den Biometrie-Produkte ein relativ weiter Sprung.

Unisichere Datenlage erfordern Sicherheitszuschläge

Nun nach der Ersteinführung vor etwas mehr als acht Jahren und 13 Folgeprodukten sollte man meinen, die FIV sei den Kinderschuhen entwachsen. Dem ist aber mitnichten so. Denn wie lassen sich die Prämiensprünge der vergangenen Monate erklären, die die Anbieter teilweise auch gleich wieder per Salto rückwärts kassieren? Manch ein Aktuar schien bei der Fülle an Forderungen nach Sicherheitszuschlägen aufgrund unsicherer Datenlage schlicht überfordert.

Als die FIV Ende 2006 eingeführt wurde, verfügte fast die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung über keine private Invaliditätsabsicherung. Gleichzeitig bestand aber aufgrund der reduzierten Absicherung im Sozialversicherungsbereich ein erhöhtes finanzielles Risiko. Die Einführung der FIV schaffte einen neuen Ansatz. Ausgangspunkt der Produktentwicklung war die Betrachtung der Krankheiten und der daraus resultierenden Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dies erfolgte durch Messung einer Funktionsminderung, wie es in der Unfallversicherung üblich ist.

Ein modulares Produkt

Die FIV der ersten Stunde bestand im Prinzip aus Modulen. Das Modul „Unfallrente“ berücksichtigt alle schweren Unfälle, die 50 Prozent oder mehr Invalidität zur Folge haben. Das Modul „Grundfähigkeitenrente“ berücksichtigt schwerpunktmäßig Erkrankungen des Stütz-und Bewegungsapparates sowie den Verlust von Sinnes- und Hirnfunktionen.

Im Modul „Organrente“ sind durch neue medizinische Definitionen die typischen Schweregrade III und IV einer Organfunktionsminderung abgebildet; analoges gilt für die Krebserkrankungen. Das Modul „Pflegerente“ dient als „ultimativer Schutz“ für diejenigen Erkrankungen, die möglicherweise bei den anderen Modulen nicht abgedeckt sind.

Schwachpunkt Dread-Disease-Deckung

Weitere Kompositversicherer übernahmen und verfeinerten inzwischen das Produktkonzept. Wie zum Beispiel mit Leistungen in Form einer Leibrente, entweder lebenslang oder bis Alter 67. Im Falle einer Krebserkrankung allerdings wird die Rentenleistung lediglich maximal fünf Jahre erbracht. Auch alle Produkte der Lebensversicherer, die in der Zwischenzeit hinzugekommen waren, beinhalten eine Pflege- und eine Grundfähigkeitenrente.

Es fehlt bei den Produkten der deutschen Versicherer das Modul der Unfallrente. Die Module Organrente und Krebsrente sind bei den Produkten ebenfalls nicht enthalten und werden stattdessen durch einen Dread-Disease-Baustein ersetzt. Da der laut Statistik wichtigste Leistungsbaustein jeder FIV in der Kompositversicherung die Organrente ist, ist der Austausch dieser Komponente durch einen Dread-Disease-Baustein der Schwachpunkt der FIV-Produkte im Bereich der Lebensversicherung.

Viele schwere Krankheiten, zu wenig Deckung

Zum einen ist da das Manko einer nur dürftigen Leistung. Eine weitere wesentliche Schwäche der Dread-Disease-Absicherungen ist, dass es einfach viel mehr folgenreiche Krankheiten gibt, die zu schweren körperlichen Schäden führen, als in den Bedingungen für diese Deckung typischerweise niedergelegt sind.

Das belegt beispielsweise der ICD-Katalog (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Bei Anbietern mit einem reduzierten Katalog versicherter Krankheiten ist oft sogar nur der Herzinfarkt als einzige Herzerkrankung abgedeckt, leistungsstarke Produkte listen bis zu 50 Herzkrankheiten auf.

Dickicht an Risikopotenzialen

Für die Produktmacher der  Lebensversicherungen mit Invaliditätsschutz ein kaum zu durchdringendes Dickicht an Risikopotenzialen. Dies ist eine Erklärung, weshalb Prämien anzupassen waren. Dann tauchte aber ein umgekehrtes Problem auf: Bei einer Dread-Disease-Deckung kann die Leistungsfalldefinition erfüllt sein, aber die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind minimal. Da dies offensichtlich vermehrt aufgetreten ist, kam es zu neuerlichen Anpassungen im Bedingungswerk.

Ein Beispiel hierfür ist die Diagnose eines Herzinfarkts. Die moderne kardiologische Technik führt oft sogar zu einer Wiederherstellung der normalen Pumpfunktion. Das heißt: Die Dread-Disease-Absicherung führt vermehrt am tatsächlichen Bedarf vorbei, was sie unnötig verteuert. Eine BU ist da schon anpassungsfähiger; bei folgenlos ausgeheilten Erkrankungen muss der Betroffene ohne Einschränkung weiter arbeiten.

Organmodul schlägt Dread Disease

Zwischenfazit: Das Organmodul des FIV-Konzepts ist einer Dread-Disease-Deckung aus Sicht der Risikoabsicherung überlegen. Warum aber diese Prämienschwankungen, wo es bei ihr doch scheinbar weit weniger Unsicherheiten zu geben scheint? Die Kalkulation der Organrente einer FIV ist aus versicherungsmathematischer Sicht deutlich anspruchsvoller als die Einmalzahlung einer Dread-Disease-Deckung. Dies beginnt bei der Frage nach den Eintrittswahrscheinlichkeiten für eine Organfunktionsminderung und endet bei den Überlebenswahrscheinlichkeiten der Leistungsempfänger einer Organrente.

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