- Von Barbara Bocks
- 05.06.2025 um 10:15
Mark Klein, Ergo Group: „Digitalisierung gibt es nicht zum Nulltarif“

Pfefferminzia: In welchen Bereichen setzen Sie KI bereits im Echtzeitbetrieb ein, und wo planen Sie den Einsatz von KI noch?
Mark Klein: Bei Ergo kommt Künstliche Intelligenz seit 2017 in verschiedenen Bereichen zur Anwendung. Dies geschieht aktuell vor allem in den eigenen Verwaltungsprozessen und umfasst beispielsweise das Eingangsmanagement sowie die Vertrags-, Schaden- und Leistungsabwicklung. Aktuell hat Ergo gruppenweit rund 110 KI-Use-Cases implementiert. Die Prozess- und Serviceoptimierung ist dabei der Hauptfokus von Ergo beim Einsatz der Technologie.
So werden beispielsweise bei der DKV pro Jahr über 60 Millionen Dokumentseiten eingereicht. Da viele der eingereichten Dokumente keinem einheitlichen Standard entsprechen, kommen regelbasierte Ansätze hier an eine natürliche Grenze. Doch mit KI konnte Ergo eine Automatisierungsrate von über 90 Prozent in der Klassifikation von eingereichten Dokumenten erzielen und damit die bisherige Quote von rund 50 Prozent mit einem regelbasierten Ansatz signifikant steigern. Das Ergebnis dieser erhöhten „Dunkelverarbeitung“ ist eine beschleunigte Leistungsabwicklung.
Auch digitale Sprachassistenten in der Kundenservicetelefonie („Phone-Bots“) helfen bereits bei über 10.000 Anrufen pro Tag. Beispielsweise leiten sie die Kunden je nach Anliegen an den richtigen Fachbereich weiter, erteilen selbstständig Auskunft über Leistungsstände in der Versicherung oder nehmen Hagelschäden der Kunden entgegen.
Neben den schon heute eingesetzten KI-Anwendungen beschäftigt sich Ergo bereits seit 2023 mit der nächsten Stufe von KI, sogenannter generativer KI (GenAI). In diesem Bereich arbeiten Experten von Ergo fachübergreifend an Lösungen für den Einsatz von „Large Language Models“ unter den geltenden rechtlichen und regulatorischen Anforderungen.
So haben die Teams etwa schon eine interne GPT-Anwendung (Ergo GPT) entwickelt, die seit April 2024 allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland zur Verfügung steht. Im Bereich Direct Online Marketing wurden 2024 rund 18.000 Werbebilder und -videos mithilfe von GenAI erstellt. Zudem wird bei Ergo etwa an Chatbots als Schnittstellen zu internen Wissensdatenbanken und weiterem gearbeitet.
Wie stellen Sie sicher, dass KI-gestützte Entscheidungen nachvollziehbar und regelkonform sind – insbesondere gegenüber Maklern und Kunden?
Klein: Bei Ergo durchlaufen alle KI-Anwendungen vor ihrem produktiven Einsatz einen umfassenden Prüfprozess, in dem alle relevanten Stakeholder wie Recht, Compliance, IT, Risikomanagement und die Mitbestimmungsgremien involviert sind. So ist sichergestellt, dass jegliche KI-basierten Anwendungen vollumfänglich datenschutzkonform und sicherheitszertifiziert sind. Der menschenzentrierte Ansatz ist neben Themen wie Datenschutz und Sicherheit die oberste Prämisse bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI-basierten Lösungen bei Ergo. Der Mensch hat immer das letzte Wort.
Für das Entwickeln und Trainieren der eigenen KI-Anwendungen nutzt Ergo eine eigene, cloudbasierte Plattform, die auf Servern in Europa gehostet wird. Hier wird in einer vollständig datenschutzkonformen und sicherheitsgeprüften Umgebung der komplette Entwicklungszyklus einer KI-Anwendung abgebildet. Das bedeutet vom Einspeisen der Daten über das Training der Modelle bis zum Liveschalten der Algorithmen.
Für den vertrauensvollen und transparenten Umgang mit KI hat Ergo bereits 2019 eigene ethische Leitplanken definiert. Dazu gehört auch, eingesetzte KI-Lösungen fortlaufend zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und weiterzuentwickeln. Dies ist insbesondere wichtig, um Aspekte wie Diskriminierung oder Halluzinationen, die durch KI-Systeme entstehen können, zu vermeiden beziehungsweise ihnen umgehend entgegenzuwirken.
Seit 2025 gilt zudem konzernweit für Munich Re, Ergo Group und Meag die „AI-Governance-Directive“. Sie wurde entwickelt, um sicherzustellen, dass regulatorische Vorgaben für KI bei Munich Re, Ergo und Meag durch globale Mindeststandards für KI-Systeme eingehalten werden.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen bei der Einführung von KI in Ihrem Haus, und wie lösen sie diese?
Klein: Versicherern bieten sich immense Potenziale durch KI und GenAI. Da es hier täglich Hunderttausende Kontaktpunkte mit Kundinnen und Kunden gibt, bei denen Sprache verarbeitet werden muss, sind Versicherungsunternehmen prädestiniert für den Einsatz von Sprachmodellen und darauf basierenden Tools. Zudem können Technologien wie KI dabei helfen, die Effekte des demografischen Wandels abzumildern.
Doch der Einsatz der Technologie muss allgemein sorgfältig überlegt, umgesetzt und gesteuert werden. Es geht um Themen wie Datenschutz, Urheberrecht, Halluzinationen und Diskriminierung. Es braucht eine klare Datenstrategie, geeignete Löschkonzepte und ethische Leitplanken, wie KI im eigenen Unternehmen implementiert werden soll. Darüber hinaus braucht es die nötigen Investments. Denn Digitalisierung gibt es nicht zum Nulltarif. Wer erfolgreich digitalisieren will, muss dafür konsequent und kontinuierlich investieren.
Die beste Technologie entfaltet jedoch keine Wirkung, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie nicht annehmen und nutzen. Deshalb beginnt die digitale Transformation immer damit, Technologie zu entmystifizieren und Ängste bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu nehmen. Die Kolleginnen und Kollegen müssen klar nachvollziehen können, was eine Technologie kann – und was nicht. Hier braucht es Angebote wie praktische (Online-)Workshops und Fortbildungen, Thementage, Dialogformate, Fachartikel, digitale Sprechstunden und ähnliches.
Ergo hat bereits eine umfassende digitale Kultur bei sich etabliert und KI wertstiftend implementiert. Bis 2030 wird die Gruppe zudem weitere rund 130 Millionen Euro in den Ausbau ihrer GenAI-Plattform investieren.

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