Vater und Tochter: 0,25 anstatt 0,15 Prozentpunkte Kinderrabatt in der Pflegeversicherung © Daniela Dimitrova / Pixabay
  • Von Andreas Harms
  • 05.04.2023 um 17:45
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Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur Reform der sozialen Pflegeversicherung (SPV) beschlossen. Der enthält vor allem für Eltern eine schöne Überraschung. Andere Aspekte hingegen bleiben auf der Strecke, wie einige Branchenverbände sogleich bemängeln. Sie vermissen vor allem Geld aus Berlin.

Es ist immer schwer zu sagen, woher der Zehntelprozentpunkt kommt. Vor einem Monat war er noch nicht da, aber jetzt dürfte er Eltern sehr erfreuen. Denn sie sollen ab Jahresmitte niedrigere Pflegebeiträge zahlen als noch ursprünglich vorgesehen.

So hieß es nämlich im Ende Februar erschienenen „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege“: Eltern bekommen bei den neuen Pflegebeiträgen pro Kind 0,15 Prozentpunkte Nachlass. Im Entwurf, den das Bundeskabinett am 5. April verabschiedet hat, sind es hingegen 0,25 Prozentpunkte. Pro Kind unter 25 Jahren. Für das erste Kind sind es sogar 0,6 Prozentpunkte, aber das war auch im Referentenentwurf schon so geplant.

Die anderen finanziellen Eckpunkte hat das Kabinett hingegen unverändert übernommen. Der allgemeine Beitragssatz soll zum 1. Juli in diesem Jahr um 0,35 Prozentpunkte steigen. Laut Regierung entspricht das Mehreinnahmen von 6,6 Milliarden Euro.

Damit ergibt sich ab 1. Juli 2023 folgende Beitragsstaffel:

  • ohne Kinder: 4,00 Prozent (Arbeitnehmer-Anteil: 2,3%)
  • 1 Kind: 3,40 Prozent (lebenslang) (Arbeitnehmer-Anteil: 1,7%)
  • 2 Kinder: 3,15 Prozent (Arbeitnehmer-Anteil: 1,45%)
  • 3 Kinder: 2,90 Prozent (Arbeitnehmer-Anteil: 1,2%)
  • 4 Kinder: 2,65 Prozent (Arbeitnehmer-Anteil 0,95%)
  • 5 und mehr Kinder: 2,40 Prozent (Arbeitnehmer-Anteil 0,7%)

Damit reagiert die Regierung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2022. Das besagt, dass sich die SPV-Beiträge spätestens ab 1. Juli 2023 an der Kinderzahl von Beitragszahlern orientieren müssen.

Pflegegeld und Beträge für ambulante Sachleistungen (häusliche Pflege) sollen Anfang 2024 um 5 Prozent steigen. Und alle Leistungsbeträge sollen Anfang 2025 ebenfalls um 5 Prozent anziehen. Wie die Dynamik langfristig aussehen soll, dafür will die Regierung noch in dieser Legislaturperiode Vorschläge präsentieren.

Hinauf geht es auch mit den Zuschüssen der Pflegekasse an Pflegebedürftige in vollstationären Pflegeeinrichtungen zum 1. Januar 2024 je nach Aufenthaltsdauer:

  • unter einem Jahr: von 5 auf 15 Prozent
  • 13 bis 24 Monate: von 25 auf 30 Prozent
  • 25 bis 36 Monate: von 45 auf 50 Prozent
  • ab drei Jahre: von 70 auf 75 Prozent

Außerdem will man das Verfahren vereinfachen und übersichtlicher gestalten, nach dem man die Pflegebedürftigkeit feststellt.

Das sind lediglich ausgewählte Highlights, den gesamten Entwurf (115 Seiten) können Sie hier herunterladen.

Inzwischen haben sich auch einige Branchenverbände zu Wort gemeldet. Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) vermisst eine Perspektive, wie man die Probleme der Pflegebedürftigen und der SPV lösen könne. Abgesehen vom Ansatz, die Kinderzahl zu berücksichtigen, habe sich für Bedürftige und deren Angehörige kaum etwas verbessert. Die erhöhten Leistungen und Zuschläge könnten gerade mal die gestiegenen Kosten ausgleichen – mehr aber nicht.

„Dass die ohnehin schon wenigen Leistungsverbesserungen auf den letzten Metern im Gesetzentwurf noch einmal reduziert wurden, ist enttäuschend. Hierzu gehören insbesondere die Streichung der flexiblen Inanspruchnahme der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege und ein Verschieben der Digitalisierung“, kritisiert Elsner.

Außerdem vermisst sie Geld aus dem Bundeshaushalt: „Auf die im Koalitionsvertrag verabredete Steuerfinanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, jährlich 3,7 Milliarden Euro, und den vollständigen Ausgleich der pandemiebedingten Zusatzkosten – hier sind noch 5,5 Milliarden Euro offen – wird weiterhin verzichtet.“

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, lobt den Gedanken, dass man die Zahl der Kinder künftig einfach gegenüber der beitragsabführenden Stelle nachweisen kann. Und damit nicht zur Pflegekasse gehen muss.

Die erhöhten Beiträge schafften hingegen nur bis 2025 Ruhe, eine nachhaltige Lösung habe man nur aufgeschoben. Auch Reimann fordert: „Die SPV muss endlich zusätzliche Bundesmittel für die Rentenansprüche von pflegenden Angehörigen bekommen, zudem darf sie nicht auf milliardenschweren Corona-Kosten sitzen bleiben.“

Und auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) vermisst Geld vom Staat. „Würde er dieses Geld erstatten, müsste es die von der Regierung geplante Beitragserhöhung am 1. Juli nicht geben. Hinzu kommen jährliche Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen, wie die knapp vier Milliarden Euro für Sozialversicherungsbeiträge pflegender Angehöriger. Allein über die beiden genannten Punkte könnte die Pflegeversicherung in diesem Jahr um rund 9 Milliarden Euro entlastet werden“, so der stellvertretende Vorstandschef, Gernot Kiefer.

Insgesamt greife die Regierung mit dem Entwurf einige Reformbedarfe „bestenfalls ansatzweise auf“, so Kiefer weiter. Am Ende springe sie aber zu kurz und verfehle somit das selbstgesetzte Ziel aus dem Koalitionsvertrag.

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Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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