Der damalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm (CDU), hier im Jahr 1986, prägte den Spruch: „Die Rente ist sicher.“ Heute zweifeln nicht wenige Menschen daran © picture alliance / Ulrich Baumgarten
  • Von Andreas Harms
  • 06.05.2025 um 12:09
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Steigender Rentenbeitrag für Arbeitnehmer? Es hat schon schlimmeres gegeben, findet der Sozialwissenschaftler Reinhold Thiede. In einem Blog-Beitrag bricht er eine Lanze für das umlagefinanzierte Rentensystem und dessen Widerstandskraft. Doch dann wagt er einen Vergleich, der einfach nicht passen will.

Der Sozialwissenschaftler Reinhold Thiede findet nicht, dass das Umlagesystem in der Rente an seine Grenzen stößt. Stattdessen hält er es für machbar und auch angemessen, dass der Rentenbeitrag im Rahmen der Sozialversicherung in Deutschland weiter steigt. Das schreibt er in einem Blog-Beitrag für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI), das der Hans-Böckler-Stiftung angehört.

Nun muss man hinzufügen, dass Thiede ein besonderes Verhältnis zum Umlagesystem hat. Von 2010 bis 2023 leitete er den Geschäftsbereich „Forschung und Entwicklung“ bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Allerdings kennt er damit auch die gängigen Vorbehalte und düsteren Prognosen gegenüber dem System.

Aktuell ist es immer wieder die Warnung davor, dass in den kommenden Jahren mit den Babyboomern eine enorm hohe Zahl an Neurentnern zum Geldempfang antritt. Und nur wenige Beitragszahler rücken nach (wir berichteten). Der Sozialwissenschaftler Bernd Raffelhüschen findet das sehr bedenklich. Und zuletzt forderte beispielsweise der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dass die Menschen später in Rente gehen sollen als bisher – das sogenannte Renteneintrittsalter soll steigen.

Von solchen Unkenrufen hält Thiede offenbar nicht viel. „Die Rentenversicherung ist in ihrer Geschichte immer wieder mit der demografischen Herausforderung fertig geworden“, schreibt er und verweist etwa auf eine Titelgeschichte des „Spiegel“ aus dem Jahr 1985. Darin heißt es: „Wer trägt die Last im Jahr 2000, wenn immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Ruheständler ernähren müssen?“

Zusätzliche Faktoren federn ab

Doch Thiede meint dazu, dass diese Prognosen sogar bis heute noch nicht eingetroffen sind. Es gibt nun mal weitere Faktoren als nur das Verhältnis zwischen Renten- und Erwerbsgeneration. Zugewanderte Menschen im Arbeitsmarkt, mehr Frauen und Ältere im Job, Rentenreformen und der gestiegene Bundeszuschuss hätten geholfen, die Demografie zu kompensieren. Es sind Faktoren, auf die die Politik auch weiterhin setzt. Dass aber jener Bundeszuschuss inzwischen mittlerweile deutlich über 100 Milliarden Euro im Jahr beträgt, erwähnt Thiede nicht. Wie weit kann er noch steigen?

Doch darauf will er nicht hinaus. Denn er befasst sich mit den Beiträgen zur Rentenversicherung. Auch hier gibt ihm die Geschichte zunächst recht. „In dem kurzen Zeitraum von 1968 und 1973 wurde er von 14 auf 18 Prozent angehoben – also um mehr als ein Viertel!“, schreibt Thiede. Das ist tatsächlich kein Pappenstiel. Und damals habe sich eben kaum jemand vor „gravierenden ökonomischen Auswirkungen“ gefürchtet, so der Wissenschaftler.

Was er nicht erwähnt: Gravierende ökonomische Auswirkungen hatte es trotzdem gegeben, in Form einer heftigen Rezession 1974 und 1975 mit hoher Inflation und Arbeitslosigkeit und einbrechender Nachfrage. Das lag natürlich nicht an den gestiegenen Beiträgen zur Rentenversicherung, sondern vielmehr an der Ölkrise. Geholfen haben dürften sie aber auch nicht.

Auch weiter steigende Beiträge machbar

Ebenso klar ist, dass Wirtschaft und Arbeitsmarkt anschließend lernten, mit Beiträgen in dieser Höhe zu leben. Und das könnten sie nun auch mit noch weiter steigenden Beiträgen, ist sich Thiede sicher. Wenngleich sie „nicht der einzige und vielleicht auch nicht der Königsweg zur Kompensation einer steigenden demografischen Belastung“ seien, räumt er zugleich ein.

Und wie weit könnte es aufwärts gehen? Dazu zitiert er Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates. Demnach würde im mittleren Szenario der Rentenbeitrag von heute 18,6 Prozent bis 2040 auf gut 21 Prozent steigen. Bis 2080 könnten es 24 Prozent sein.

Ob das viel oder wenig ist, mag Thiede nicht beurteilen. Aber er stellt fest: „Auf jeden Fall ist es aber ein moderaterer und sehr viel langsamerer Anstieg als die beschriebene massive Anhebung Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre.“

In erster Linie ein Plädoyer

Man kann Thiedes Beitrag erst einmal als das sehen, was er ist: ein Plädoyer dafür, wie widerstandsfähig das Umlagesystem der Rente ist. Und eine Bestandsaufnahme, dass die bisher prophezeiten düsteren Szenarien eben nicht eingetroffen sind. Was übrigens auch Nutzer in den Sozialen Medien immer wieder anmerken. Thiede beruhigt also in der aktuellen Diskussion um die Rente mal die Pferde. So weit, so fair.

Man wird allerdings auch den Verdacht nicht los, dass er sich einige Umstände passend zurechtdreht. Auf einige haben wir schon hingewiesen. Und am Ende seines Beitrags vergleicht er den deutschen Rentenbeitrag mit dem in Österreich. Dort liege er „bereits seit Jahrzehnten bei 22,8 Prozent, ohne dass dies zu gravierenden ökonomischen Problemen geführt hätte“. Nach Werdings Basisszenario werde Deutschland diesen Wert erst etwa 2060 erreichen.

Was Thiede ausblendet, die Wirtschaft aber sehr wohl interessiert: In Österreich liegen andere Beiträge zur Sozialversicherung weit unter denen in Deutschland, sodass auch die gesamte Abgabenlast niedriger ist. So kostet die Krankenversicherung nur 7,65 Prozent. Der höhere Rentenbeitrag belastet also die Wirtschaft nicht über Gebühr.

Thiede räumt das auch ein, indem er selbst Ländervergleiche einzelner Variablen von Rentensystemen als „grundsätzlich wenig aussagekräftig“ bezeichnet. Trotzdem bleibt er dabei: Einen Kollaps der umlagefinanzierten Alterssicherung werde es aus demografischen Gründen nicht geben.

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Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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