Mutter mit Kindern: Vor allem Frauen arbeiten wegen der Kindererziehung oft in Teilzeit – mit Nachteilen bei ihrem BU-Schutz. © lookstudio / Freepik.com
  • Von Jens Lehmann
  • 05.05.2025 um 11:39
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lesedauer Lesedauer: ca. 05:35 Min

Sind Teilzeitkräfte in der Berufsunfähigkeitsversicherung im Nachteil? Viele BU-Versicherer sehen das so – und statten Neuverträge kundenfreundlich mit Teilzeitklauseln aus. Doch sind sie wirklich notwendig?

Die Kinder betreuen, einen Angehörigen pflegen, einfach etwas kürzertreten, um die Gesundheit zu schonen oder mehr Freizeit zu haben: Es gibt viele gute Gründe, warum Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Teilzeitkräfte werden. Vielen ist dabei allerdings nicht bewusst, dass die Reduzierung der Arbeitsstunden negative Auswirkungen auf ihren Berufsunfähigkeitsschutz (BU) haben kann.  

Denn die Prüfung, ob und in welchem Umfang eine versicherte Person berufsunfähig ist, stellt auf die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit ab. Daraus können sich Nachteile für BU-Versicherte ergeben, die von Voll- in Teilzeit wechseln.  

Der Grund dafür liegt in der Leistungsprüfung. Sie erfolgt qualitativ und quantitativ. Bei der qualitativen Beurteilung geht es um die Frage, ob ein Beschäftigter den beruflichen Kernanforderungen inhaltlich noch gewachsen ist. Ein Chirurg, der wegen motorischer Einschränkungen an einer Hand nicht mehr operieren kann, ist demnach berufsunfähig, selbst wenn er nur zweimal pro Woche im OP-Saal steht und sonst überwiegend andere Aufgaben wahrnimmt. Im Fall einer solchen qualitativen Berufsunfähigkeit ist das Arbeitszeitmodell zweitrangig: Ob Voll- oder Teilzeitkraft – der Versicherte hat Anspruch auf eine BU-Rente.  

Ganz anders bei der quantitativen Bewertung. Hier wird geprüft, in welchem zeitlichen Umfang ein Beschäftigter noch in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Sinkt die Leistungsfähigkeit unter 50 Prozent der Arbeitszeit, ist er berufsunfähig. Eine Vollzeitkraft, die acht Stunden pro Tag arbeitet, hat demnach Anspruch auf eine BU-Rente, sobald sie dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, vier Arbeitsstunden zu leisten. Teilzeitkräfte, die ihre Arbeitszeit aber bereits auf täglich vier Stunden reduziert haben, sind bei quantitativer Bewertung erst dann berufsunfähig, wenn das Leistungsvermögen unter die Zwei-Stunden-Marke rutscht.   

Teilzeitfalle schnappt zu

Folglich stecken Teilzeitkräfte in der „Teilzeitfalle“, weil sie im Vergleich zu Vollzeit-Arbeitnehmern viel schwerwiegendere gesundheitliche Einschränkungen haben müssen, um als berufsunfähig zu gelten. „Der BU-Grad verschiebt sich häufig auf 70 oder 80 Prozent“, warnt Christian Dulitz, Produktentwickler Biometrie bei der Condor Lebensversicherung. 

Diesen Nachteil versuchen die Versicherer per Teilzeitklausel in BU-Neuverträgen auszugleichen. Sie garantiert, dass Basis der Leistungsprüfung nicht die in Teilzeit geleistete Arbeitszeit, sondern die ursprüngliche Vollzeitstundenzahl ist.  

Das sind gute Nachrichten für Millionen Teilzeitkräfte. Denn die Teilzeit in Deutschland boomt. Von den aktuell 42,3 Millionen abhängig Beschäftigten arbeiten laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) knapp 40 Prozent in Teilzeit. Das entspricht in absoluten Zahlen rund 16,7 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern beziehungsweise Arbeitnehmerinnen. Denn unter Frauen ist Teilzeit seit Mitte vergangenen Jahres bereits die Norm: Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit war 2024 erstmals eine knappe Mehrheit von 50 Prozent nicht mehr in Vollzeit tätig. Von den Männern sind dagegen derzeit nur 13 Prozent auf einer Teilzeitstelle. 

Die Zahlen verdeutlichen: Vollzeitarbeit ist auf dem Rückzug. In vielen Branchen, insbesondere im Gastgewerbe, in den Bereichen Gesundheit und Soziales, Erziehung und Bildung sowie im Einzelhandel und in den Medien wird Teilzeitarbeit immer relevanter. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales rechnet für die nächsten Jahre mit einem weiteren Zuwachs der Gruppe der Teilzeitkräfte. 

Angesichts dieser Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hält Condor-Experte Dulitz eine BU-Teilzeitklausel für ein „Must-have einer jeden guten BU-Beratung“. Zumal Beschäftigte in Teilzeit ebenso häufig von Berufsunfähigkeit betroffen sind wie Vollzeitkräfte: Die BU-Quote liegt durch die Bank bei etwa 25 Prozent, unabhängig vom gewählten Arbeitszeitmodell.  

Rechtsprechung eher auf Seite der Teilzeitkräfte

Doch stehen Teilzeitkräfte im Leistungsfall tatsächlich im Regen, wenn ihre Police keine Teilzeitklausel enthält? Nicht unbedingt. Die Rechtsprechung hat sich in Streitfällen bereits mehrfach auf die Seite der Versicherten gestellt. Wer vorübergehend von Voll- auf Teilzeit umstellt, zum Beispiel für die Kindererziehung oder weil Kurzarbeit im Unternehmen ansteht, muss im Falle der Berufsunfähigkeit nicht fürchten, schlechter dazustehen als die Vollzeitkollegen. Denn die Arbeitszeitreduzierung hat im Grundsatz keinen Einfluss auf die Bewertung im BU-Leistungsfall, entschied beispielsweise das Oberlandesgericht Saarbrücken.  

Dennoch lässt sich aus der Rechtsprechung keine BU-Rentengarantie für Teilzeitbeschäftigte ableiten. Letztlich kommt es immer auf die faire Leistungsprüfung des BU-Versicherers an. Insofern bedeutet eine Teilzeitklausel mehr Klarheit und Sicherheit, und zwar „sowohl für Teilzeit- als auch für Vollzeitbeschäftigte“, sagt Ingo Gerlach von der Baloise. „Denn Beschäftigungsbiografien sind oft nicht mehr bis zum Renteneintritt planbar.“ Darauf hat die Mehrheit der BU-Versicherer reagiert und Neuverträge entsprechend ergänzt. Gerlach: „Teilzeitklauseln sind zum Marktstandard geworden.“  

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Jens Lehmann

Jens Lehmann ist diplomierter Publizist und Betriebswirt und arbeitet als freier Journalist und Autor in Hamburg. Er ist thematisch auf Wirtschafts-, Finanz- und Mobilitätsthemen spezialisiert. Seine Beiträge erscheinen in Publikationen großer Zeitungsverlage, Unternehmensveröffentlichungen sowie bei Pfefferminzia.

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