Bert Heidekamp. ©
  • Von Redaktion
  • 24.09.2014 um 14:13
artikel drucken artikel drucken
lesedauer Lesedauer: ca. 05:35 Min

Vor kurzem erschien bei uns zum Thema Berufsunfähigkeit ein Gastbeitrag von Matthias Wörmann, Direktor beim Finanzdienstleister Consilium Finanzmanagement. Wörmann empfahl darin, besser keinen Blick in die Krankenakte zu werfen. Kritik an dem Beitrag übt nun Versicherungsmakler Bert Heidekamp. Er erklärt, warum dieses Vorgehen auch für den Makler zur Haftungsfalle werden könnte.

Von Bert Heidekamp

Am 29. August erschien ein Artikel bei Pfefferminzia zum Thema „BU: „Ärzte gehen zu sorglos mit Diagnosen um“. Dazu gibt es einige überlegenswerte und wichtige Anmerkungen.

1. Fordern Sie weiterhin den Versicherungsverlauf der Krankenkasse vor Antragsaufnahme an

Matthias Wörmann, Direktor beim Finanzdienstleister Consilium empfiehlt im obigen Artikel, dass der Versicherungsnehmer seine Krankenakte beim Arzt einsehen sollte, aber davon abrät einen Auszug/Versicherungsverlauf der Krankenkasse einzuholen. Grund: Rechnen Ärzte mit differenzierten Diagnosen ab und der Versicherungsnehmer erhält über den Versicherungsverlauf Kenntnis darüber, muss er dies im Antrag angeben.

So sei es ihm passiert, dass selbst ein „gesunder Mensch“ aufgrund einer registrierten Vorerkrankung im Versicherungsverlauf der Krankenkasse ein gestellter BU-Antrag abgelehnt wurde. Aus diesem Grund empfiehlt Herr Wörmann, keinen Versicherungsverlauf einzuholen. So ist zumindest die Aussage interpretierbar.

Ist das ein Rat, den man wirklich ernst nehmen und dem man folgen sollte?

Dreht man einfach mal die Aussage um und fragt sich: Was passiert, wenn im Leistungsfall der Versicherer nun erfährt, dass eine schwerwiegende Vorerkrankung im Versicherungsverlauf enthalten ist? Wenn laut Herr Wörmann der Versicherer bereits bei Antragstellung einen BU-Antrag ablehnte, so würde dieser auch im Leistungsfall entweder für den Vertrag den Rücktritt erklären oder diesen sogar anfechten. Der Kunde hätte im schlimmsten Fall bei Arglist keinen Versicherungsschutz, hätte für die Jahre umsonst gezahlt und die finanzielle Existenz könnte auf wackligen Beinen stehen.

Es ist zu erwähnen, dass dies in den ersten fünf oder zehn Jahren nach Vertragsabschluss gilt, je nach Schwere einer möglichen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung. Man kann sich daraus folgende Frage stellen: Nimmt hier der Vermittler bei dieser offiziellen oben genannten Aussage und Rat nicht billigend in Kauf, seinen Kunden ins offene Messer laufen zu lassen? In dem genannten Beispiel von Herrn Wörmann würde ja die Chance bestehen, diese Fehldiagnosen oder Abrechnungen mit dem Arzt vor Antragsaufnahme gerade zu stellen. Wenn der Kunde wie beschrieben „gesund“ ist, sollte dies problemlos möglich sein.

2. Spätere Richtigstellungen sind schwer oder kaum möglich

Ob ein Arzt in drei, fünf oder acht Jahren sich noch erinnern kann, dass eine Fehldiagnose oder fehlerhafte Abrechnung stattfand, wenn er in seine Akte schaut? Oder wurde aus anderen, vielleicht finanziellen Gründen abgerechnet? In solch einem Fall wird es eher schwer werden, den Arzt davon zu überzeugen alles richtig zu stellen, da ein Arzt auch unter Umständen seine Zulassung riskieren könnte. Was ist, wenn der Arzt zwischenzeitlich seine Praxis aufgegeben hat?

Diesen Fall erlebten wir 2012: Im Versicherungsverlauf stand eine Behandlung wegen Suchtbehandlung (Alkohol) – eine Fehlabrechnung und der Arzt praktizierte nicht mehr. Die Kundin war außer sich und hatte einen Hürdenlauf, alles richtig stellen zu lassen. Dies dauerte knapp sechs Monate! In einem Versicherungsfall hätte die Kundin kaum eine Chance, wahrscheinlich auch nicht die Kraft dafür, Unregelmäßigkeiten richtig zu stellen.

Dazu noch ein anderes Beispiel: Im Oktober 2010 hatte ein Versicherungsnehmer einen Bandscheibenvorfall. 2011 beantragte er Leistungen bei seinem Versicherer. Nach Prüfung der Unterlagen durch den Versicherer stellten sich mehrere Ungereimtheiten heraus, unter anderem,  das im Versicherungsverlauf eine „Knochen-Prothese/fremder Körperteil“ enthalten war – die der Versicherungsnehmer aber selbst nie hatte beziehungsweise hat.

Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass im Diagnoseschlüssel statt eines „I“ ein „T“ enthalten war.  Der Versicherungsnehmer hatte für die Richtigstellung knapp ein Jahr benötigt, inklusive Gutachten und so weiter. Zudem war der Versicherer in diesem Fall sehr vorsichtig geworden. Der gesamte Prozess inklusive Einbeziehung des Versicherungsombudsmanns dauerte knapp vier Jahre bis der Versicherer die BU-Leistungen zahlte. Seit 2014 ist der Versicherungsnehmer unser Mandant.

3. Ein aktueller Fall aus dem August 2014

Hier ein Ausschnitt aus dem Versicherungsverlauf: Der BU-Versicherer fragte mit Antragstellung und Erhalt des auszugsweisen Versicherungsverlaufes nun beim Versicherungsnehmer an, was es mit der näher bezeichneten „Persönlichkeits- und Verhaltensstörung“ zu bedeuten hat und sandte dem Versicherungsnehmer eine zusätzliche Erklärung – „Nerven- und Gemütserkrankungen“ – zu.

Dem Versicherungsnehmer ist dieser Eintrag in der Verlaufsliste nach Erhalt nicht aufgefallen, dem Versicherer schon. Was ist passiert: Der Versicherungsnehmer hatte eine Gangunsicherheit. Auf Wunsch des Orthopäden, der eine MS-Krankheit ausschließen wollte, wurde auch ein MRT vom Kopf gemacht, welches durch einen Neurologen ausgewertet wurde. Es konnte nichts Neurologisches festgestellt werden. Bei der weiteren Untersuchung konnte man die Ursache der Gangunsicherheit feststellen, es war ein Kreuzbandriss im Knie.

Für den Versicherungsnehmer war der Eintrag einer „Sonstige näher bezeichnete Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ unbekannt und ist jetzt dabei, dies mit den Ärzten und der Krankenkasse richtig zu stellen. Hätte die Versicherungsnehmerin nicht den Versicherungsverlauf beantragt und dem Versicherer auszugsweise vorgelegt, so würde im Versicherungsfall der Versicherer diese Diagnose als eine erhebliche Gefahrerhöhung werten, höchstwahrscheinlich Arglist unterstellen und den Vertrag anfechten.

Die Möglichkeit einer grobfahrlässigen Anzeigepflichtverletzung und eventuell vielleicht fehlende Kausalität würde wohl keine Rolle spielen, da der Versicherer bei „psychischen Erkrankungen“ einen Antrag womöglich abgelehnt hätte.  Aufgrund des vorliegenden Versicherungsverlaufs hat nun der Versicherungsnehmer die Chance, alles richtig zu stellen.

4. Möglichkeiten der Richtigstellung des Versicherungsverlaufs vor Antragstellung

Sind falsche Diagnosen oder Einträge vorhanden, hat der Versicherungsnehmer die Möglichkeit, diese mit den Ärzten oder eventuell unter Hinzunahme von Rechtsexperten zu klären. Im Nachhinein ist in einem Leistungsfall dies kaum oder nur schwer möglich. Die Beweislast, dass Einträge nicht stimmen, hat der Versicherungsnehmer zu tragen.

Nur Versicherungsmakler und -berater sind rechtliche Interessenvertreter ihrer Mandanten und sollten mögliche Schwierigkeiten von Beginn an reduzieren oder abwenden. Wer dies in der Beratung nicht berücksichtigt, gefährdet eventuell den Versicherungsschutz mit, insbesondere dann, wenn offenkundig bekannt und dies als Ratschlag publiziert wird: „keinen Versicherungsverlauf einzuholen, da sonst Anträge möglicherweise abgelehnt werden könnten“.

Was zur Übernahme der Gefahr eventuell für den Versicherer gefahrerheblich ist, darf weder der Versicherungsnehmer noch der Vermittler entscheiden. Alles was zur Klärung beiträgt, sollte auch gemacht werden, natürlich im Rahmen der Antragsfragen.

Fazit: Wenn ein Makler nur aufgrund einer möglichen Antragsablehnung den Versicherungsnehmer dahin berät, dass möglicherweise im Versicherungsverlauf der Krankenversicherung was enthalten sein könnte, worüber der Versicherungsnehmer keine Kenntnis hat, stellt sich die Frage, ob sich eine Makler-Haftung bei solch einem Rat anschließt. Insbesondere dann, wenn der Makler bekannte Möglichkeiten (wir berichteten in der Zeitschrift Guter Rat bereits 2011 und 2013 mehrfach) eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzungen zu vermeiden, nicht nutzt.

Gehen Ärzte oder Makler nun zu sorglos mit Diagnosen um?

Ein Verlauf der Krankenkasse ist zudem eine sehr gute Übersicht zur Selbstkontrolle des Versicherungsnehmers – „wann, weshalb war man wo“ in Behandlung. Zudem könnte die Anzahl von Arztakten bei Überweisungen & Co. völlig unübersichtlich werden und man erkennt selten, wie abgerechnet wurde. Ein Versicherungsverlauf ist daher eine zusätzliche sehr gute Kontrollmöglichkeit.

Nicht selten vergisst man auch schnell Kleinigkeiten oder harmlose Behandlungen, die jedoch für den Versicherer von gefahrerheblicher Bedeutung sein könnten. So kann die Verschreibung von Einlegesohlen auf ein Gebrechen hinweisen (Beinverkürzung, Beckenschiefstand). Der Versicherungsnehmer denkt selten an solche Situationen, da er dies wahrscheinlich nicht als Krankheit oder Gebrechen wertet. Aber auch ein Besuch in der Rettungsstelle im Krankenhaus, zum Beispiel um sich eine Zecke entfernen zu lassen, kann je nach Versicherer relevant sein und das steht selten in der Krankenakte des Hausarztes. Diesen Fall hatten wir 2011, der BU-Antrag wurde damals auf ein Jahr zurück gestellt.

Es ist zu beachten, dass Versicherer im Leistungsfall nicht nur bei den Ärzten Informationen einholen, sondern auch bei Krankenkassen, Abrechnungsstellen, privaten Krankzusatzversicherern, der deutschen Rentenversicherung und so weiter. Weitestgehende Informationen vor Antragstellung sind also anzuraten, um im Leistungsprozess wenige Schwierigkeiten zu erwarten.

Mir liegt es am Herzen, das Berufsbild des Versicherungsmaklers in seiner Komplexität und Wertigkeit zu vermitteln. Ratschläge, wie die von Herrn Wörmann, schaden meines Erachtens eher dem Image des Maklers. Auch auf das Aushandeln von Vergleichszahlungen sollte der Versicherungsnehmer sich nicht einlassen, das sind eher gern gesehene Angebote der Versicherer. Hier lohnt es sich immer, erst rechtlichen Rat einzuholen, statt einer Empfehlung des Vermittlers oder Versicherers zu folgen.

Eine weitere Aussage, „dass mindestens 50 Prozent seines aktuellen Berufes nicht mehr ausüben kann“ ist auch nicht ganz richtig. Maßgebend ist etwa die prägende Tätigkeit (diese kann auch nur 20 Prozent seiner Gesamttätigkeit ausmachen), zudem spielt die Tätigkeit zum Zeitpunkt der BU die Rolle und nicht der zuletzt aktuelle Beruf beziehungsweise die Tätigkeit bei Meldung der BU.

Aber auch andere Dinge müssen berücksichtigt werden, etwa, ob beispielsweise eine Überobligation vorliegt. Pauschale Aussagen zur „50 Prozent Klausel“ können so eventuell zu dem Bild beim Versicherungsnehmer führen, dass sich recht einfach BU-Ansprüche durchsetzen lassen. Besonders zu Schwierigkeiten könnte es führen, wenn man auf einmal zum Beispiel als Teilzeitkraft tätig ist.

Liebe Makler und Leser, ob Fehldiagnosen oder versehentliche Falschabrechnungen, eine BU-Versicherung sollte ausschließlich über unabhängig versierte Vermittler oder Berater erfolgen, nur so können Risiken im Antrags-Prozess reduziert und gute Bedingungen ausgewählt werden. Ratschläge oder Ideen, die zur Klärung beziehungsweise Reduzierung einer möglichen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung beitragen könnten, vom Vermittler jedoch nicht empfohlen, unterstützt oder gar abgelehnt werden, sollte der Versicherungsnehmer ins Beratungsprotokoll aufnehmen lassen.

Über den Autoren

Bert Heidekamp ist Gründer und Eigentümer der Kanzlei Heidekamp für Versicherungsvermittlung und Investmentberatung. Heidekamp ist Versicherungsmakler und Versicherungsfachwirt und berät seit 25 Jahren zum Thema BU. Darüber hinaus erstellt er als BU-Analyst Gutachten zu bestehenden und neuen Tarifen. Weitere Informationen finden Sie unter www.fairtest.de.

kommentare

Hinterlasse eine Antwort

kommentare

Hinterlasse eine Antwort