- Von Barbara Bocks
- 05.06.2025 um 10:15
Viele Menschen in der Versicherungsbranche reden derzeit über künstliche Intelligenz (KI), aber welche Versicherer setzen eigentlich bereits KI-Anwendungen im Echtbetrieb ein – und wo halten sie sich lieber zurück?

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Wir haben uns in der Branche dazu einmal umgehört. Die folgenden Versicherer stehen uns im ersten Teil ausführlich Rede und Antwort, in welchen Bereichen sie KI schon einsetzen, wo das noch geplant ist und welche Probleme sie dabei noch lösen müssen:
- Arag
- Die Bayerische
- Domcura
- Ergo
- HDI Deutschland
Die Kurz-Interviews der befragten Versicherer finden Sie in alphabetischer Reihenfolge in unserer Interviewstrecke. Das ist der erste Teil. In der kommenden Woche veröffentlichen wir den zweiten Teil.
Antonia Strohschen, Arag: „Wir nutzen KI zur Entlastung – nicht zur Rationalisierung“

Pfefferminzia: In welchen Bereichen setzen Sie KI bereits im Echtzeitbetrieb ein, und wo planen Sie den Einsatz von KI noch?
Antonia Strohschen: Bei der Arag verfolgen wir einen systematischen, aber pragmatischen Ansatz beim Einsatz von KI – entlang der gesamten Wertschöpfungskette, mit konkreten Anwendungsfällen im Live-Betrieb, in aktiver Entwicklung und mit Blick in die Zukunft. Die Bandbreite reicht dabei von klassischer KI über Large-Language-Models-(LLMs)-basierte Lösungen bis hin zu Retrieval Augmented Generation (RAG).
Bereits im Live-Betrieb sind unter anderem:
- Voicebots mit Intent-Erkennung und LLM zur automatisierten Unterstützung bei der Beantwortung von Kundenanfragen, etwa bei Finanzamtsbescheinigungen
- E-Mail-Automatisierung zur Klassifikation und strukturierten Verarbeitung eingehender Dokumente wie Deckungsnoten oder Iban-Änderungen – etwa in der Schaden- oder Vertragsbearbeitung
- Wissensmanagementsysteme (GPTS) in Kundenservice, Schaden, Vertrieb, Produktentwicklung
- Office-Produktivitätstools (MS Co-Pilot) für alle Mitarbeitenden zur Effizienzsteigerung im Alltag
- ACE, ein KI-Assistenzsystem zur Unterstützung anwaltlicher Tätigkeiten in den Niederlanden
- „Smarte Anwaltsempfehlung“ zur intelligenten Steuerung im Schadenmanagement
- Anonymisierungsservices für sensible Daten im Schadenbereich
Bis Ende Mai 2025 geplant (in Umsetzung) sind:
- Telefonat-Zusammenfassungen, die Gesprächsinhalte im Schaden- und Direktvertrieb automatisiert dokumentieren
- Prognosemodelle für Anrufvolumen, zur optimierten Personaleinsatzplanung
- „Chat with your Policy/Claim“: Ein neuer KI-Service, der es unseren Mitarbeitenden ermöglicht, mit hochgeladenen Schadenunterlagen zu interagieren, Sachverhalte zu klären und strukturierte Zusammenfassungen zu erhalten
- Odin: Klassifikation und Auslese eingehender Post – als nächste Stufe der Prozessautomatisierung
- Beantwortung einfacher E-Mails und smartes Case Management mit Vorschlagslogik
Zukunftsvision (in Arbeit):
- Smarte Notizsysteme für Telefonate, Next-Best-Action-Vorschläge im Kundendialog
- Weiterentwicklung unserer Document Recognition und klassischen KI-/Datalake-Strukturen, unter anderem um internationale Schadenfälle zu bearbeiten
Wie stellen Sie sicher, dass KI-gestützte Entscheidungen nachvollziehbar und regelkonform sind – insbesondere gegenüber Maklern und Kunden?
Strohschen: Transparenz und Regelkonformität sind für uns elementare Prinzipien im KI-Einsatz. In Anwendungsfällen mit direktem Kundenkontakt – derzeit primär bei unseren Voicebots – erfolgt eine klare Kennzeichnung:
Ich bin Ihre digitale Assistentin. Um Ihre Wartezeit ein wenig zu verkürzen, möchte ich einige notwendige Fragen bereits mit Ihnen durchgehen. Alle Informationen, wie wir mit Ihren Daten umgehen, finden Sie auf der Datenschutzerklärung unserer Homepage.
Darüber hinaus gilt konzernweit unsere verbindliche KI-Richtlinie, die klare Standards für die Entwicklung und den Einsatz von KI setzt – unter ethischen, technischen und regulatorischen Gesichtspunkten. Sie verpflichtet alle Bereiche zu einem verantwortungsvollen Umgang mit KI und ist Grundlage für Audits, Prüfprozesse und kontinuierliche Weiterentwicklung.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen bei der Einführung von KI in Ihrem Haus, und wie lösen Sie diese?
Strohschen: Zwei Herausforderungen stehen für uns im Vordergrund:
- Technische Integration: Moderne KI-Systeme an bestehende, teils legacy-geprägte IT-Architekturen anzubinden, ist komplex – insbesondere in international heterogenen Märkten. Wir setzen hier auf modularisierte Schnittstellen, zentrale Datenhaltung (Datalake) und Governance-Strukturen, um KI skalierbar und robust auszubauen.
- Akzeptanz & Veränderung: Der Wandel in der Arbeitsweise durch KI-Tools wie Co-Pilot verlangt Umdenken – nicht nur technologisch, sondern auch kulturell. Gerade dort, wo öffentlich hohe Erwartungen geschürt werden, ist Aufklärung wichtig. Unsere Strategie: Wir führen neue Tools use-case-basiert, transparent und mit gezielter Schulung ein. Dabei betonen wir klar: KI ist ein Assistenzsystem, kein Ersatz für Mitarbeitende.
Unser erklärtes Ziel: Wir nutzen KI zur Entlastung – nicht zur Rationalisierung. Die menschliche Expertise bleibt bei uns unersetzbar.

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