Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan AM: „Zinsen unter der Inflationsrate werden uns noch viele Jahre begleiten“ © J.P. Morgan AM
  • Von Andreas Harms
  • 07.09.2022 um 10:30
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Tilmann Galler ist Kapitalmarktstratege bei der Fondsgesellschaft J.P. Morgan Asset Management. Im Gespräch erklärt er, was die heutige Inflation von jener in den 70er-Jahren unterscheidet, wie man sich für die Altersvorsorge aufstellen sollte und was viel wichtiger ist als das berühmte Markt-Timing.

Pfefferminzia: Herr Galler, irgendwie erinnert mich die aktuelle Lage an die 70er. Ein Energieträger wird knapp, und der Preis explodiert. Das erzeugt eine enorme Inflation, die die Menschen auf ihre Gehälter überwälzen wollen. Passt der Vergleich?

Tilmann Galler: Nicht ganz. Sicherlich ist der Impuls aus dem Energiebereich vergleichbar. Aber heute haben wir Krieg in Europa, und umfangreiche Wirtschaftssanktionen gegen einen der größten Rohstoffproduzenten der Welt – Russland Die Angebotsengpässe sind dadurch viel umfangreicher und regional ungleich verteilt. Zusätzlich haben sich die Gewichte innerhalb der Wirtschaft verschoben. Damals war die Wirtschaft viel stärker vom Öl abhängig als heute. Dienstleistungen spielen dafür heute eine viel größere Rolle. Andererseits sind die Gewerkschaften heute nicht mehr so mächtig, dafür sind die Staaten viel höher verschuldet und die Zinsen viel niedriger als in den 70ern. Es ist also doch einiges anders.

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Und deshalb nicht leicht für die Europäische Zentralbank. Sie hat keine Blaupause.

Sie muss aufpassen, dass sie nicht ein neues Übel erschafft, wenn sie das eine Übel beseitigt. Wenn sie die Inflation zu aggressiv bekämpft, riskiert sie eine Rezession. Und wenn sie andererseits das Wachstum zu sehr unterstützt, könnte ihr die Inflation davonlaufen.

Zurzeit scheinen sie sich für die aggressive Seite zu entscheiden. 0,5 Prozentpunkte sind selbst für Europa ein Wort.

Ja, im Verlauf des Sommers haben Mitglieder des EZB-Rats mehr als deutlich gemacht, dass die Bekämpfung der Inflation oberste Priorität hat. Trotz dieser Priorisierung sollte man bedenken, dass auch die Zentralbanken wieder moderatere Töne anschlagen sollten, sobald die Inflationsraten deutlich niedriger werden. Das ist alles ein sehr dynamischer Prozess.

„Wir können nicht zu Zinsen von 6 Prozent zurückkehren“

Was sicherlich auch nötig ist.

Ja, das ist ein weiterer Unterschied zu den 1970ern. Die Schuldenstände bei Unternehmen und Staaten sind heute viel höher. Deshalb können wir gar nicht zu Zinsen von 6 Prozent oder mehr zurückkehren. Die Zentralbanken müssen also sehr vorsichtig sein. Die finanzielle Repression mit Zinsen unterhalb der Inflationsrate wird uns noch viele Jahre begleiten.

Damit können wir Anleihen also in der Altersvorsorge vergessen. Die können die Inflation ja gar nicht schlagen.

In einem hohen Inflationsszenario und mit einem tiefen Startpunkt, was den Zins angeht, kann das stimmen. Wir haben das in den letzten knapp zwei Jahren erlebt. Das hat katastrophal angefangen und damit sicher Geschichte geschrieben. Doch inzwischen sind wir einen Teil des Weges der Zinsnormalisierung gegangen, und Anleihen sind auf dem heutigen Renditeniveau durchaus wieder interessant. Trotzdem finden auch wir, dass sich Anleger für die Altersvorsorge verstärkt auch bei realen Vermögenswerten gut gestreut aufstellen sollten.

Seite 2: Wie stellt man sich für die Altersvorsorge auf?

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Andreas Harms

Andreas Harms schreibt seit 2005 als Journalist über Themen aus der Finanzwelt. Seit Januar 2022 ist er Redakteur bei der Pfefferminzia Medien GmbH.

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