Im Vereinigten Königreich gibt es seit Anfang 2013 ein Provisionsverbot in der Vermittlung von Altersvorsorgeprodukten. © Pexels / Samuel Wölfl
  • Von Oliver Lepold
  • 05.05.2023 um 12:30
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Christian Nuschele, Vertriebs- und Marketingleiter von Standard Life, hat verfolgt, was mit einem Markt passiert, dem ein Provisionsverbot auferlegt wird. Wie sieht er die aktuelle Diskussion?

Pfefferminzia: In Großbritannien gilt bereits seit zehn Jahren ein Provisionsverbot für die Altersvorsorge, das Investmentsparen und die Geldanlage. Wie haben sich Beraterzahl und Beratungsqualität verändert?

Christian Nuschele: Die Zahl der Berater ist nur leicht zurückgegangen, das liegt aber nicht in erster Linie am Provisionsverbot, sondern an den umfassenden Qualifikationsanforderungen, die im Rahmen der Retail Distribution Review (RDR) an Berater gestellt wurden. Dazu kommt, dass die britischen Berater direkt reguliert werden. Es sind umfassende Compliance- und Dokumentationsanforderungen zu erfüllen, was am Ende für den Berater richtig teuer ist. Auch aus diesem Grund verließen damals viele Berater den Markt. Die Qualität ist durch die detaillierte Regulatorik und die umfangreichen Weiterbildungspflichten indes aber sehr gestiegen. Wer heute dort Beratung in Anspruch nimmt, erhält eine sehr gute Qualität.

Wie groß ist die “Advice Gap”, weshalb viele Menschen mit geringerem Einkommen auf ein zielführendes Beratungsangebot verzichten müssen?

Fakt ist, dass der Zugang zur Beratung deutlich erschwert wurde. Das liegt einerseits daran, dass britische Berater sich Vorgaben erlauben. Zum Beispiel nehmen sie in aller Regel unter 100.000 Euro liquide zu investierende Mittel keine neuen Kunden an. Manche starten sogar erst ab einer halben Million. Das fußt auf ihrer betriebswirtschaftlichen Rechnung: nur großvolumige Beratungsaufträge erlauben eine kostendeckende Dienstleistung, Beratung würde für kleinere Vermögen unverhältnismäßig teuer. Wir gehen derzeit von 34.000 Finanzberatern in UK aus, die je nach Businessmodell zwischen 150 und 200 Kunden haben. Sie brauchen nicht mehr, weil sie damit auskömmlich arbeiten können. Auf der anderen Seite haben etwa 92 Prozent der Briten keinen Zugang mehr zu einer persönlichen Beratung. Dies sind in aller Regel die Bevölkerungsgruppen, die eine Beratung besonders nötig hätten. Man muss aber fairerweise auch sagen, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung auch gar keine Beratung möchte.

Wie versuchen Produktanbieter und Regulierungsbehörde, diese Beratungslücke zu schließen?

Die Behörden gehen davon aus, dass die Produktanbieter für diejenigen, die sich Beratung nicht mehr leisten können oder wollen, vermehrt kostengünstige standardisierte Angebote entwickeln werden. Bis hin zu geführter digitaler Beratung. Die Regulierungsbehörde spricht von einem Evolutionsprozess hin zu standardisierter Beratung auf Basis von typischen Kundenbeispielen. Allerdings hat die erwünschte massenhafte Nutzung noch nicht stattgefunden. Erst wenige Kunden nehmen solche Angebote in Anspruch.

Wie ist Ihr Fazit: hat sich der provisionsfreie Weg für die Branche gelohnt?

Das Fazit ist gemischt. So ist der Versicherungsmarkt im Sinne eines typischen Lebensversicherungsmarktes deutlich geschrumpft. Berater haben aber profitiert, denn sie können heute auf ausreichend Kunden zurückgreifen und verfügen über genügend finanzielle Mittel, um die es sich zu kümmern gilt. In UK können sich Beschäftigte zum Beispiel die angesparte bAV vorzeitig auszahlen lassen. Für die Wiederanlage brauchen sie zwingend einen Berater, allein schon wegen steuerlich komplexer Vorgaben. Letztlich gibt es aber auch viele Verlierer des Systems, die keine Altersvorsorgeberatung und damit auch keine Unterstützung beim Vermögensaufbau erhalten. Bei den Beratern geht es vielmehr darum, Vermögen zu investieren als aufzubauen. Eine Beratung zum Altersvorsorgesparen, wie wir sie in Deutschland kennen, ist dort die Ausnahme.

Wie sehr würde ein Provisionsverbot der Altersvorsorge in Deutschland schaden?

Wir würden einen starken Effekt auf das Beratungsangebot sehen. Den Einstieg in die Altersvorsorge betriebswirtschaftlich sinnvoll anzuberaten, wäre kaum noch möglich. Da würden wir ähnliche Effekte wie in den Niederlanden oder Großbritannien sehen, wo diese Dienstleistung nicht mehr systematisch erbracht werden kann. Das wäre schade, sozialpolitisch nicht wünschenswert und würde dem Altersvorsorgeniveau in Deutschland schwer schaden. Gerade für junge Kunden wäre ein Provisionsverbot sehr nachteilig.

Wird das vorerst abgewendete Verbot doch noch kommen?

Ich denke, es ist nicht komplett vom Tisch. Die EU-Kommission wird weiter beobachten, wie sich die Vergütung beim Vorsorgesparen über Versicherungslösungen entwickelt. Ebenso werden die Kosten, der Verbraucherschutz und das Thema “Wert der Beratung” weiter diskutiert. Das ist auch absolut sinnvoll. Alle Beteiligten müssen verstehen, dass die Beratungsdienstleistung einen Gegenwert hat, der erbracht werden muss. Unabhängige Berater leisten hochwertige Arbeit, die auch entsprechend entlohnt werden sollte.  Natürlich sind Transparenz und Flexibilität im Markt notwendig. Ich denke, am Ende wird klar werden, dass die Branche kein Verbot von Provisionen braucht, auch nicht in den nächsten fünf oder zehn Jahren. Wir verfügen über eine gute Koexistenz der Systeme und mit dem Mut zu Innovationen auch über ausreichend Möglichkeiten, um allen gerecht zu werden.

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Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

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