Moritz Schüßler, Head of Intermediated Retail bei Vanguard und Michael Heidinger, Head of Wholesale Business Development bei abrdn © vanguard/ abrdn
  • Von Oliver Lepold
  • 28.09.2022 um 11:57
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lesedauer Lesedauer: ca. 02:45 Min

Kurzschlusshandlungen bei fallenden Märkten, Vorlieben für Themenfonds und Versuche eines Market-Timings sind Fehler, die viel Geld kosten können. Michael Heidinger, Head of Wholesale Business Development bei abrdn, und Moritz Schüßler, Head of Intermediated Retail bei Vanguard, erläutern wie Berater ihre Kunden davor bewahren.

Pfefferminzia: Was machen Menschen bei der investmentbasierten Altersvorsorge häufig falsch?

Moritz Schüßler: 80 Prozent der menschlichen Entscheidungen sind emotional. So werden etwa Verluste viel stärker als Gewinne gewichtet. Immer wieder versuchen Anlegerinnen und Anleger, vergeblich über gezieltes Aus- und Einsteigen eine Mehrrendite zu erwirtschaften. Dabei liegt die Anlegerrendite in den meisten Fällen unter der Fondsrendite, egal welche Zeiträume und Anlageklassen man betrachtet. Ein weiterer Fehler sind eine zu starke Konzentration auf Trendinvestments und Themenfonds. Sie sprechen viele Anleger emotional an, sind aber für die langfristige Vermögensanlage irrelevant. Laut Morningstar sind nach zehn Jahren etwa 80 Prozent dieser Fonds wieder verschwunden.

Michael Heidinger: Wenn der Markt fällt, treffen Anleger häufig kurzschlussartige schlechte Entscheidungen, anstatt ihrer rationalen Anlageentscheidung und ihrem Anlageziel treu zu bleiben. Durch Angst getriebene Market-Timing-Versuche sind der schwerwiegendste Fehler. Ein weiterer ist das Festhalten an totgerittenen Pferden – einst beliebte und erfolgreiche Fonds, die nicht mehr halten, was sie versprochen haben. Dabei ist gerade im Versicherungsmantel ein Switch zu einem innovativeren, kostengünstigeren Modell steuerneutral. Ein weiteres Phänomen: Beraterinnen und Berater lagern die Anlageentscheidungen gern an Gurus aus, also an große Namen der Fondsbranche. Sie hoffen so, schwere Marktphasen zu überstehen. Aber auch Gurus kommen und gehen. Wir müssen es schaffen, generell zu mehr Eigenverantwortlichkeit für Investmententscheidungen anzuregen.

Wann treten verhaltensbasierte Fehler gehäuft auf: eher am Anfang, in der Mitte oder gegen Ende des Investmenthorizonts?

Schüßler: Das passiert eigentlich zu jedem Zeitpunkt der Laufzeit. Zu Beginn kommt etwa die Reue-Aversion vor. Man hat Angst davor, den falschen Zeitpunkt für den Einstieg zu wählen. In solchen Fällen lohnt es sich, schrittweise über mehrere Monate zu investieren. Aus der Verhaltensforschung wissen wir, dass sobald eine Entscheidung in die Zukunft vertagt wird, es leichter fällt, sich zu entscheiden. In der Mitte der Laufzeit treten eher Selbstüberschätzungen auf. Da hilft es natürlich, einen Experten wie einen Finanzberater an der Seite zu haben, der einen neutraleren Blick auf das Vermögen besitzt.

Heidinger: Meiner Ansicht nach werden die größten Fehler eher am Ende der Laufzeit gemacht, etwa wenn man die Allokation auf Basis eines veränderten Anlagehorizonts neu ausrichtet. Die Investmentberatung vor Beginn der Anlage liegt dann ja schon meist länger als eine Dekade zurück. Wenn aber zum Beispiel der eigentliche Zweck der Anlage die Tilgung einer Hypothek nach Ablauf der Laufzeit ist, befindet man sich eher in einem Lebenszyklus-Konzept. Die Allokation muss dann zwingend zum richtigen Zeitpunkt angepasst werden. Ein weiterer Fehler ist, dass Kundinnen und Kunden regelmäßig ihre Lebenserwartung unterschätzen. Sie nehmen dann vor dem Rentenbeginn das Risiko aus ihrer Anlage, obwohl sie eigentlich auch später noch einen Wachstumsanlagebaustein gebrauchen könnten. Stattdessen verkonsumieren sie die Cash-Allokation. Gerade die Ruhestandsphase sollte professionell gemeinsam mit einem unabhängigen Berater geplant werden.

Inwieweit sind Versicherungsmakler darauf trainiert, derartige Probleme in der Beratung aktiv anzusprechen?

Schüßler: Meine Erfahrungen zeigen, dass man in der Ausbildung oder auch an Universitäten gar nicht über solche Fehler spricht, das kommt erst später mit der Praxiserfahrung der Maklerinnen und Makler. Dabei sollte das Bewusstsein dafür bereits zu Beginn der Kundenbeziehung vorhanden sein. Erst dann kann man das Thema im Kundengespräch zielführend ansprechen.

Heidinger: Je mehr Crash-Erfahrung Makler haben, desto besser können sie Kunden durch einen Crash begleiten und überzeugend darstellen, dass es danach auch wieder aufwärts geht. Auf der anderen Seite verfügen junge Makler über ein anderes Toolset. Trotz mangelnder Erfahrung tun sie sich dadurch leichter, sich von ehemaligen Lieblingsfonds zu lösen und bleiben nicht so stark in veralteten Ansätzen verhaftet.

Abgesehen von der Performance, zu welchen wertstiftenden Faktoren sollte eine professionelle Kundenberatung noch führen?

Heidinger: Transparenz über die Allokation, klar definiertes Investmentziel und -horizont. Alle Faktoren, die das Investment vorantreiben, sollten klar auf der Hand liegen und allen Parteien bewusst sein. Und natürlich Ruhe und Besonnenheit für die Krisenphasen. Denn das ist der Hebel, der eine Performance langfristig vernichten kann. Die wenigen guten Tage, die verpasst werden, können eine Rendite stark mindern. Das ist wertstiftend für die Beratung.

Schüßler: Neben den genannten Aspekten sind auch steuerliche Aspekte interessant, Rebalancing, Auswahl kosteneffizienter Fonds und das Verhaltenscoaching, auf das wir im zweiten Teil dieses Interviews näher eingehen.

Lesen Sie in Teil 2 des Interviews, welche konkreten Fragen Beraterinnen und Berater zu diesem Thema haben und wie die Experten darauf antworten.

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Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

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