Philip Wenzel ist Versicherungsmakler, Biometrie-Experte und Chefredakteur des Portals Worksurance. © Doris Köhler
  • Von Redaktion
  • 27.06.2023 um 16:08
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lesedauer Lesedauer: ca. 02:50 Min

Weiter an der Qualität der Berufsunfähigkeitsversicherung zu schrauben, ist nicht allzu sinnvoll, findet Philip Wenzel, Biometrie-Experte und Chefredakteur des Portals Worksurance. Stattdessen sollten sich die Anbieter auf die Unterstützung im Leistungsfall konzentrieren, schreibt er in seinem Kommentar. Ein Versicherer habe hier schon gut vorgelegt.

Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist von der Produktqualität schon seit einiger Zeit nicht mehr sinnvoll zu verbessern. Schon jetzt ist der Leistungsauslöser vom eigentlichen Bedarf entkoppelt, sodass ich durchaus auch genauso viel Geld verdienen kann wie vor meiner Berufsunfähigkeit und dennoch meine Rente erhalte.

Auf der anderen Seite ist es immer noch so, dass ein Laie sehr, sehr leicht an der Leistungsfallbeantragung scheitern kann, weil Berufsunfähigkeit jedes Mal individuell definiert werden muss.

Den BU-Begriff fest zu definieren, wäre in etwa so sinnvoll, wie wenn man aus dem Mittelwert aller Schuhgrößen eine Einheitsgröße herstellen würde. Das wäre für viele passend, aber eben nicht für alle.

Der Branche ist das Problem durchaus bekannt und es ist ja auch lobenswert, dass viele Neuheiten der vergangenen Jahre darauf abzielen, den Leistungsfall zu vereinfachen. Die Infektions-, Dienstunfähigkeits- und AU-Klauseln sind ja nicht als separate Auslöser zu verstehen für Fälle, in denen die BU-Versicherung nicht leisten würde. Hier liegt an sich immer auch BU vor.

Allerdings ist der Nachweis über ein behördliches Arbeitsverbot, eine Ruhestandsversetzung oder eine Krankschreibung auch ohne Probleme von einem Laien durchzuführen. Das alles bekämpft die Symptome, aber nicht die Ursache.

Sinnvoller wäre es, wenn der Versicherer bei jedem Leistungsfall Unterstützung anbieten könnte. Das tun BU-Versicherungen auch. Es gibt Teleclaiming, Vor-Ort-Unterstützung, einen persönlichen Ansprechpartner und mittlerweile gibt es auch digitale Unterstützung. Damit lässt sich aber das Problem nicht lösen. Denn aus der von den Medien unterstützten Wahrnehmung der Menschen, die BU-Versicherung würde nie leisten, resultiert ein Mangel an Vertrauen gegenüber den BU-Versicherern. Und deshalb wird Unterstützung, um diesen Mangel an Vertrauen zu beheben, aufgrund des Mangels an Vertrauen nicht angenommen.

Die Lösung wäre also eine neutrale Unterstützung im Leistungsfall. Hier gibt es schon Anbieter, die im Falle einer Ablehnung die Überprüfung der Ablehnung bezahlen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zwar ist bei der Ablehnung das Kind schon in den Brunnen gefallen und es wäre ungleich schwieriger, den Fall zu drehen. Auf der anderen Seite muss der BU-Versicherer sich aber an alle Regeln halten, wenn er ablehnen will. Wir dürfen durchaus unterstellen, dass ein Versicherer, der seine Entscheidung überprüfen lässt, nicht versucht zu betrügen. Das käme dann ja jedes Mal raus.

Die Gothaer bietet jetzt eine neue Unterstützung an, die mir sehr gut gefällt, weil sie ein Potenzial in sich trägt, dass die Gothaer so vielleicht noch gar nicht gesehen hat. In den Bedingungen zur Berufsunfähigkeitsversicherung findet sich seit Juni dieses Jahres ein sogenanntes Überbrückungsgeld. Und das leistet bis zu fünf Monatsrenten, sobald die Gothaer einen Sachverständigen beauftragt, weil die Berufsunfähigkeit nach Einschätzung des Versicherers nicht eindeutig ist.

Unabhängige Unterstützung wird bezuschusst

Das gefällt mir, weil wir hier noch an dem Punkt sind, wo der Fall zwischen dem Versicherten und der Leistungsabteilung geklärt werden kann. Aber das Geld alleine macht nicht schlau oder vermittelt tiefere Erkenntnis über die Beantragung eines BU-Leistungsfalls. Allerdings lässt sich mit dem Geld ein spezialisierter Versicherungsberater bezahlen, der weiß, wann ein Gutachten in Ordnung ist oder sogar, welcher Sachverständige befangen ist.

Und hier stellt sich mir die Frage, wieso die Gothaer nicht einfach das Storytelling ändert und in die Bedingungen schreibt, dass unabhängige Unterstützung mit bis zu fünf Monatsrenten bezuschusst wird, wenn der Leistungsfall so strittig ist, dass ein Gutachten verlangt werden muss.

Gut fürs Image

Die Kosten für den Versicherer wären exakt die gleichen. Das Risiko eines Leistungsfalls steigt vermutlich ein wenig an, weil das Risiko, dass der Versicherte sich nicht mehr meldet oder ein formeller Fehler begangen wird, durch die Unterstützung in der Regel sinken dürfte.

Was sich dadurch aber auf jeden Fall verbessern ließe, wäre das Image der Branche. Denn der Vertrauensverlust geht mit der Angst vor dem Leistungsfall einher. Und diese Angst rührt daher, dass sich der normale Mensch nichts darunter vorstellen kann. Berufsunfähigkeit ist eine Unbekannte. Wenn hier jetzt ein kundiger und unabhängiger Berater unterstützen kann, verschwindet die Angst. Und wenn der Versicherer dem Versicherten das Geld gibt, um den unabhängigen Berater zu bezahlen, dann steigt hier auch wieder das Vertrauen.

Deshalb wäre es in meinen Augen sinnvoller, wenn die kommenden Neuerungen in der BU-Versicherung sich auf Unterstützung im Leistungsfall konzentrieren, statt noch mehr Leistungen zu versprechen, wenn die BU bewilligt ist. Und wenn wir daneben auch noch die Erlebbarkeit des Produkts während der Vertragslaufzeit steigern können, wird sich das Image sicher positiv wandeln.

kommentare
Gerd Kemnitz
Vor 1 Jahr

Wenn sich ein Versicherungsnehmer heutzutage wirklich fragen muss, ob das von der Versicherungsgesellschaft vorgelegte Gutachten in Ordnung ist oder der Sachverständige befangen war, brauchen wir uns über den schlechten Ruf der Branche nicht zu wundern.

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Gerd Kemnitz
Vor 1 Jahr

Wenn sich ein Versicherungsnehmer heutzutage wirklich fragen muss, ob das von der Versicherungsgesellschaft vorgelegte Gutachten in Ordnung ist oder der Sachverständige befangen war, brauchen wir uns über den schlechten Ruf der Branche nicht zu wundern.

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