Mit Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte bei Allianz Trade in Deutschland, sprechen wir über das Hinweisgeberschutzgesetz. © Allianz Trade
  • Von Karen Schmidt
  • 24.09.2025 um 12:46
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Seit Juli 2023 sind Unternehmen verpflichtet, ein internes Hinweisgebersystem einzurichten – andernfalls drohen saftige Bußgelder. Für Makler eröffnet das spannende Beratungsansätze, erklärt Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte bei Allianz Trade in Deutschland. Im Interview sprechen wir über typische Täterprofile, Prävention und passenden Versicherungsschutz.

Pfefferminzia: Herr Kirsch, das Hinweisgeberschutzgesetz soll Personen schützen, die Missstände in ihrem Unternehmen oder ihrer Organisationen melden. Unternehmen müssen nun eine interne Meldestelle für diese Hinweise haben. Wer das verpennt, muss mit Bußgeldern in Höhe von bis zu 50.000 Euro belegt zu werden. Ist das Hinweisgeberschutzgesetz ein guter Beratungsanlass für Makler?

Rüdiger Kirsch: Das Hinweisgeberschutzgesetz ist seit Juli 2023 in Kraft. Für einen Großteil der Unternehmen, Behörden und Gemeinden in Deutschland bedeutet das: Sie sind verpflichtet, ein internes Hinweisgebersystem zu implementieren. Hinweise von Mitarbeitenden werden so durch die sich daraus entwickelnde Gesetzgebung und Rechtsprechung gefördert.

Das beinhaltet zunächst einmal jegliche Hinweise von Mitarbeitenden auf Missstände: Das können mögliche Datenschutzverletzungen sein oder interne Prozesse über das Verhalten von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten bis hin zu Sicherheitslücken oder aber auch Hinweise auf mögliche kriminelle Handlungen.

Für Makler ist das insofern ein Beratungsanlass – aber keine Beratungsverpflichtung –, weil die Unternehmen sich ja auch die Frage stellen sollten, wie sie mit möglicherweise entstehenden finanziellen Schäden umgehen und inwieweit sie sich dagegen schützen können. An dieser Stelle können Makler mit ihrer Sachkompetenz punkten und geeignete Absicherungsmöglichkeiten aufzeigen.

Worauf sollten Vermittler ihre Gewerbekunden besonders hinweisen?

Kirsch: Die eigenen Mitarbeitenden genießen einen großen Vertrauensvorsprung – insbesondere, wenn der Chef sie persönlich eingestellt hat oder sie schon lange im Unternehmen sind. Das ist auch erst einmal gut so. Aber: Für die Unternehmen ist es trotzdem wichtig, dass sie eine Balance zwischen Vertrauen und Unternehmenskultur auf der einen Seite und Vorsorge und Kontrolle auf der anderen Seite finden und sich nicht in falscher Sicherheit wiegen.

Viele durchaus gewünschte Eigenschaften von Leistungsträgern decken sich zum Beispiel mit denen von Betrügern – wie beispielsweise Durchsetzungswillen, Risikobereitschaft, Ehrgeiz oder Aufstiegsorientierung. Es ist also sehr schwierig, sie zu identifizieren.

Und: Die größten Schäden verursachen männliche Täter im Alter zwischen 40 und Mitte 50, gebildet, in gehobener oder leitender Position im Finanzwesen mit mindestens 10 Jahren Betriebszugehörigkeit. Sie schlagen zwar seltener zu, aber dann „in die Vollen“ mit sehr großen Schäden: Sie kennen alle Lücken in den Kontrollsystemen und besitzen durch die langjährige Zugehörigkeit genau das erwähnte Vertrauen von Kollegen und Chefs, sodass sie oft über einen längeren Zeitraum unentdeckt agieren können. Dabei hilft ihnen meist auch ihr freundliches und respektvolles Auftreten – sie sind oft auffällig unauffällig und geraten bei Verdachtsmomenten selten sofort in den Fokus. Insofern sollten sich Unternehmen nicht in falscher Sicherheit wiegen und lieber auch für den Worst Case vorsorgen.

Viele Innentäter haben ein hohes Maß an krimineller Energie

Welche Schadenfälle können beispielsweise auftreten?

Kirsch: Der Strauß, den das Hinweisgeberschutzgesetz ans Licht bringen kann, ist bunt. Datenschutz- oder Compliance-Verstöße, Betrug, Veruntreuung, Geheimnisverrat sind nur einige Schadenfälle, die auftreten können. Wichtig ist: Das Hinweisgeberschutzgesetz deckt strafbare Handlungen von Mitarbeitenden auf, nicht von externen Straftätern. Vor allem Schäden, die über mehrere Jahre hinweg versursacht werden, kommen so häufiger ans Licht.

Wie können sich Unternehmen vor Schäden durch Betrug, Veruntreuung oder andere kriminelle Handlungen schützen?

Kirsch: Betrug und Untreue sind weiterhin in den Top 3 der Delikte im Bereich Wirtschaftskriminalität. 36 Prozent der betroffenen Unternehmen in Deutschland verzeichneten 2022 Schäden durch Betrug – und an einer Vielzahl der Fälle sind Insider beteiligt. Es gibt mehr schwarze Schafe, als viele Unternehmen glauben, und sie richten jedes Jahr große finanzielle Schäden an.

Sie zu identifizieren ist allerdings in vielen Fällen schwer. Für die Unternehmen ist es deshalb wichtig, dass sie eine Balance zwischen Vertrauen und Unternehmenskultur auf der einen Seite und Vorsorge und Kontrolle auf der anderen Seite finden. Zufriedene Mitarbeitende sind in der Regel wesentlich loyaler als Mitarbeitende, die kein gutes Betriebsklima vorfinden. Mobbing, Frustration und Rache sind häufige Motive, die interne Täter antreiben. Die Unternehmens- und Fehlerkultur sowie die offene und transparente Kommunikation spielen also eine entscheidende Rolle.

Wenn Mitarbeitende sich trauen, Missstände anzusprechen, können Schwachstellen identifiziert, Sicherheitslücken geschlossen und Täter schneller identifiziert werden. Kontrollmechanismen, Richtlinien sowie regelmäßige Routine-Überprüfungen sind für Unternehmen allerdings genauso wichtig, um sich zu schützen – denn Gelegenheit macht Diebe.

Dennoch: Der Faktor Mensch ist flexibel und die schwarzen Schafe finden immer Mittel und Wege. Viele Innentäter haben ein hohes Maß an krimineller Energie, sie nutzen Gelegenheiten umgehend und können auch die besten Kontrollsysteme aushebeln. Deshalb sollten sich Unternehmen nicht auf ihren Kontrollsystemen ausruhen oder in falscher Sicherheit wiegen.

Eine Möglichkeit ist es, eine Vertrauensschadenversicherung abzuschließen. Worauf kommt es bei diesen Policen dann besonders an?

Kirsch: Auf das Leistungspaket und auf gute Beratung, insbesondere bei der Frage nach der Höhe des Selbstbehalts und der Versicherungssumme. Häufig wird die Gefahr von Unternehmen unterschätzt und sie sparen deshalb an der falschen Stelle. Der häufigste Fehler ist eine deutlich zu niedrige Versicherungssumme, um die Prämie zu reduzieren.

Die Schwachstelle ist der Mensch, und die eigenen Mitarbeitenden richten weiterhin die meisten und auch die größten Schäden an

Eine Befürchtung war ja, dass die Versicherungsbranche nun erheblich mehr Schäden regulieren muss. Wie ist das in Ihrem Bestand? Merken Sie durch das Hinweisgeberschutzgesetz eine erhöhte Zahl an Strafmeldungen?

Kirsch: Noch nicht. Aber es gibt vergleichbare Erfahrungen mit der Einführung des verpflichtenden Compliance-Systems Anfang der Jahrtausendwende. Die Schäden wurden mit einem zeitlichen Versatz entdeckt, nachdem alle Kontrollen implementiert waren und gelebt wurden. Eine ähnliche Entwicklung bei Hinweisgebersystemen ist mit der Zeit deshalb durchaus wahrscheinlich.

Insgesamt sind die Schäden durch kriminelle Handlungen durch sowohl die eigenen Mitarbeitenden als auch durch externe Dritte in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Das Hinweisgeberschutzgesetz dürfte dabei ebenfalls eine Rolle gespielt haben, es lässt sich aber nicht beziffern.

Letztlich kann es Unternehmen aber helfen, Schäden wesentlich früher zu erkennen. Denn die unbequeme Wahrheit für Unternehmen bleibt: Die Schwachstelle ist der Mensch, und die eigenen Mitarbeitenden richten weiterhin die meisten und – zumindest bis 2023 – auch die größten Schäden an. 2023 waren Innentäter für 55 Prozent aller bei Allianz Trade gemeldeten Schäden in Deutschland verantwortlich sowie – getrieben durch viele besonders große Schäden – für 76 Prozent des gemeldeten Schadenvolumens.

Das bedeutet im Umkehrschluss auch: Je früher den Tätern das Handwerk gelegt wird, desto geringer die Schäden – und dabei hilft das Hinweisgeberschutzgesetz auf jeden Fall.

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Karen Schmidt

Karen Schmidt ist seit Gründung von Pfefferminzia im Jahr 2013 Chefredakteurin des Mediums.

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