Norbert Piechowiak ist Geschäftsführer bei Helvetia Leben Maklerservice GmbH. © Helvetia
  • Von Oliver Lepold
  • 23.06.2021 um 07:54
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Wie sieht die Arbeitskraftabsicherung der Zukunft aus? Norbert Piechowiak, Geschäftsführer des Helvetia Leben Maklerservice GmbH, über alternative und fondsgebundene BU-Konzepte und mögliche Einflüsse der Corona-Pandemie auf Trends bei der Produktkonzeption.

Pfefferminzia: Wie hat sich der Wettbewerb im Biometrie-Bereich in den vergangenen Jahren entwickelt?

Norbert  Piechowiak: Auf jeden Fall ist der Preiswettbewerb noch schärfer geworden. Die Risiken, die in einer Berufsgruppe zusammengefasst sind, werden immer weiter segmentiert. Mit neuen Scoring-Modellen gibt man dem Thema dann einen anderen Namen. Hier liegen einfach die größten Hebel, um etwas zu bewegen, ohne aktiv die Risikopuffer zu reduzieren. Ansonsten kommen alternative Absicherungen stärker in den Fokus, als gute Ausweichmöglichkeit für die besonders risikoreichen Berufsgruppen. Besonders hilfreich sind Ergänzungsbausteine zur Grundfähigkeitsversicherung, die über eine Leistung bei Arbeitsunfähigkeit in den ersten 24 Monaten ein ähnliches Leistungsniveau wie eine BU bieten.

Welche Rolle spielen heute die alternativen biometrischen Absicherungen?

Der Fokus liegt aktuell ganz klar auf der Grundfähigkeitsversicherung. Denn für viele Risikoberufe ist sie die einzige finanzierbare Lösung mit einer monatlichen Rente zur Absicherung der Arbeitskraft. Vermittler können zudem den Leistungsauslöser Verlust einer Grundfähigkeit oft einfacher erklären als den Begriff Berufsunfähigkeit. Zuletzt ist auch die Gesundheitsprüfung weniger streng, was dem Vermittler ein größeres Potenzial für Kunden mit gesundheitlichen Vorbelastungen eröffnet.

Warum haben Berater die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU) kaum auf dem Schirm?

Die EU bietet mehr oder weniger vergleichbaren oder bisweilen sogar weniger Schutz als die gesetzliche Rentenversicherung. Hinzu kommt, dass das Risiko in wesentlichen Punkten, wie der Psyche, fast genauso akribisch wie bei der BU geprüft wird. Kunden mit psychischen Vorbelastungen haben hier also kaum einen Vorteil. Deshalb ist es verständlich, wenn Berater zum Beispiel mit der Grundfähigkeitsversicherung einen Schutz anbieten, der in bestimmten Fällen eine Rente zahlt, obwohl man noch eingeschränkt arbeiten kann. Zum Beispiel ein Dachdecker mit Stimm- oder Hörverlust. Das ist für den Kunden interessanter als eine zusätzliche „gesetzliche“ Rente mit Gesundheitsprüfung bei Antragstellung.

Wie hat das fortwährende Niedrigzinsumfeld auf die BU durchgeschlagen?

Über einen langfristigen Wandel in der Produktkonzeption. An einer fondsgebundenen Beitragskalkulation ist in der Biometrie in den nächsten zehn Jahren kein Vorbeikommen. Ein großer Schub wird schon kommendes Jahr mit der Rechnungszinssenkung auf 0,25 Prozent erfolgen, denn dann werden die Beiträge in einigen Produkten mit konventioneller Kalkulation ansteigen. Fondsgebundene Produkte sind davon weniger betroffen, weil der Rechnungszins dort nur eine geringe Rolle spielt. Es werden deshalb noch sehr viel mehr Produkte auf den Markt kommen, die Fondsanlagen in die Kalkulation miteinbeziehen.

Hat die Corona-Pandemie zu maßgeblichen Änderungen bei der Produktkonzeption geführt? Oder zu einem messbaren Nachfrage-Schub?

Corona und Pandemien werden nicht direkt in den Bedingungen aufgeführt. Weit verbreitet sind jedoch textliche Änderungen an der Infektionsklausel. Hier wurde klargestellt, dass es um Erkrankungen des Kunden geht und nicht um von der Politik verhängte Tätigkeitsbeschränkungen. Für solche externen Maßnahmen haben Versicherer auch keine Kalkulationsgrundlagen. Tatsächlich ist in der Pandemie ein Nachfrageschub spürbar. Die Menschen haben mehr Zeit, sich mit ihrer Absicherung zu beschäftigen. Zudem wird einem plastisch vor Augen geführt, dass Long Covid kerngesunde Menschen, sogar Spitzensportler, von heute auf morgen aus dem Berufsleben herausreißen kann. Das schärft das Bewusstsein, dass eben nicht nur Unfälle, die Psyche oder Krebserkrankungen Auslöser für eine Berufsunfähigkeit sind. Wir gehen aktuell von etwa 10 bis 20 Prozent mehr Neugeschäft im BU-Bereich aus.

Welche neuen Produktaspekte werden in den nächsten Jahren im Vordergrund stehen?

Neben der von uns erwartenden Tendenz einer marktweiten Umstellung auf fondsbasierte Modelle wird eine stärkere Individualisierung in der Beitragsberechnung kommen, insbesondere anhand digital erfasster Daten. Einige neue Tarife mit App-Einbindung haben in diesem Zusammenhang bereits Kritik von Verbraucherschützern erhalten. Solche Produkte müssen genau durchdacht werden, sowohl nach Gesichtspunkten des Datenschutzes, als auch in Bezug auf die Tragfähigkeit der Kollektive. Durch die individuellere Berechnung darf man nicht aus den Augen verlieren, dass die Gesamtheit der Versicherten den Versicherungsschutz bezahlt.

Ein Zukunftsforscher prognostizierte, dass die Arbeitskraftabsicherung der Zukunft so aussehen wird: eine kostenlose einfache Erwerbsunfähigkeitsversicherung, auf die eine flexible leistungsstarke BU draufgesattelt wird. Wie schätzen Sie diese Vision ein?

Kostenlosen Schutz kann es betriebswirtschaftlich nicht geben. Jeder Versicherer muss seine Leistung bestmöglich finanzieren. Ich halte es deshalb für wahrscheinlicher, dass künftig eine Finanzierung über Daten erfolgt. Wenn der Kunde dem Versicherer Gesundheitsinformationen zur Verfügung stellt, stellen diese langfristig und in der Gesamtsumme einen relativ hohen monetären Wert dar. Der Versicherer erhält bessere Datengrundlagen für die Kalkulation und kann im Gegenzug günstig oder kostenlos Schutz bieten. So richtig angenehm ist mir persönlich der Gedanke nicht, aber möglicherweise sind künftige Generationen beim Thema Daten und finanzielle Verwertung aufgeschlossener.

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Oliver Lepold

Oliver Lepold ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und freier Journalist für Themen rund um Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Er schreibt regelmäßig für Pfefferminzia und andere Versicherungs- und Kapitalanlage-Medien.

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