Tatort-Ermittlerin Henni Sieland im Einsatz: Die fiktive ALVA-Versicherung war im Dresden-Tatort zwar nicht die Mörderin, lieferte aber die Motivlage für die Täterin. © Screenshot ardmediathek.de
  • Von Lorenz Klein
  • 13.11.2017 um 11:02
artikel drucken artikel drucken
lesedauer Lesedauer: ca. 02:50 Min

Das gibt es nicht oft: Ein „Tatort“, in dem die Versicherungsbranche die Hauptrolle spielt. Wenig überraschend hingegen die Rollenverteilung: Die „böse Versicherung“ agierte als Schurke im Stück und die Mörderin gab die Rächerin der Benachteiligten. Unter anderem auf Twitter setzt sich die Branche gegen gängige Vorurteile über die vermeintlichen „Nicht-Zahler“ zur Wehr und verweist auf die eigene Leistungsstatistik.

Da ahnte einer wohl schon das Unheil: „Für das Gemüt ist es gut, keinen Tatort zu gucken“, kommentierte Versicherungsmakler Matthias Helberg auf Twitter das Fernsehereignis vom Sonntagabend (siehe Grafik): Der jüngste Dresden-„Tatort“ widmete sich nämlich dem „strukturellen Wahnsinn der Versicherungsbranche“, wie der Versicherungsverband GDV lakonisch anmerkte. Für reichlich Emotionen war also gesorgt.

Über 90 Minuten hinweg säte „Stromberg“-Autor Ralf Husmann erhebliche Zweifel an der Zahlungsmoral der Versicherungswirtschaft in Sachen Berufsunfähigkeit (BU).

Als es zum Showdown kommt, erklärt die „versehentliche“ Mörderin Martina Scheuring der Ermittlerin Henni Sieland ihre Motivlage: Eigentlich wollte die ehemalige Mitarbeitern der dubiosen Versicherungsfirma ALVA dem fiesen Unternehmenschef bloß einen Denkzettel verpassen, weil ALVA seinen Kunden systematisch BU-Leistungen verweigert. Doch am Ende lag dieser tot in seinem Büro.

Scheuring wurde zur Mörderin, weil ihr schlechtes Gewissen sie plagte. Der Auslöser: Ein Kunde nahm sich in ihrem Büro das Leben, nachdem ALVA seinen Leistungsanspruch ablehnte.

Und so lautete der Dialog im Wortlaut:

Täterin Scheuring: „Heutzutage sind die schwarzen Schafe die Herde. Wissen Sie, in wie vielen Fällen die Versicherungen heutzutage bei Unfall und Berufsunfähigkeit ihre Leistung verweigern? Wissen Sie das?“

Kommissarin Sieland: „Ne, weiß ich nicht?“

Scheuring: „Raten Sie!“

Sieland: „30 Prozent?“

Scheuring: „60 Prozent! Und wissen Sie, wie viele Betroffene dagegen klagen? Nicht mal 5 Prozent. Weil Sie Schiss haben und eine Prozess erst gar nicht durchstehen würden. Die Menschen sollen endlich mal die Zusammenhänge verstehen!“

Die Zusammenhänge zu verstehen – darum bemühte sich auch der Versicherungsverband GDV, der die Aussagen des Tatorts (im passenden Jargon) kritisch kommentierte: „Einspruch! Dürftige Beweislage. Die Wahrheitsfindung in Sachsen ist unvollständig“, teilte der Verband mit.

Bei 77 Prozent der rund 62.000 Leistungsanträge des Jahres 2014 wurde ein Leistungsfall festgestellt – und in der Folge geleistet, erklärt der GDV unter Verweis auf jüngste Branchenzahlen. Nur zwei Prozent der Anträge seien vor Gericht gelandet. Davon sei bei der Hälfte der Fälle ein Vergleich erzielt worden, in 35 Prozent hätten die Gerichte zugunsten der Versicherer entschieden, in 15 Prozent hätten die Versicherungsnehmer gewonnen.

Unterstützung für seine These erhält der GDV seitens des Analysehauses Franke und Bornberg. Bereits im März 2016 stellte man dort fest: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Versicherte eine beantragte BU-Leistung auch tatsächlich erhalten, ist hoch.“ Demnach würden drei von vier BU-Anträgen von den Unternehmen anerkannt. „Damit liegt die Leistungsquote deutlich höher als in der gesetzlichen Rentenversicherung, wo nur jedem zweiten Antrag auf Erwerbsminderungsrente stattgegeben wird“, heißt es bei Franke und Bornberg.

Dabei berücksichtige die Quote von 75 Prozent keine Anträge, die Versicherte nicht weiter verfolgt oder zurückgezogen haben. „Das geschieht übrigens erstaunlich oft“, bemerken die Analysten. „Viele Antragsteller senden den Fragebogen ihres Versicherers trotz Erinnerung nicht zurück.“

Fast die Hälfte aller Ablehnungen sei zudem darauf zurückzuführen, dass der vereinbarte BU-Grad – meist 50 Prozent – nicht erreicht werde. Ein weiteres Viertel aller negativen Entscheide resultiere aus Anfechtungen und Rücktritten.

„Würfelspiel BU?“

Nun mag man darüber streiten, ob eine Ablehnungsquote von durchschnittlich gut 25 Prozent gesellschaftlich betrachtet immer noch zu hoch ist – zumal aus der GDV-Statistik nicht ersichtlich wird, ob der Kunde die Leistung gleich im ersten Anlauf erhält oder erst nach zähem Ringen mit dem Versicherer, was dann womöglich nur in einem Vergleich endet. Für eine Ablehnungsquote von 60 Prozent, wie sie im „Tatort“ genannt wird, finden sich jedoch keine Hinweise.

Gleichwohl dürfte der versicherungskritische Krimi bei einigen Marktbeobachtern offene Türen einrennen. So beklagte eine Studie von Premium Circle im Frühjahr 2017, dass weder Kunden noch Vermittler vorab einschätzen könnten, ob und wie lange die Versicherung ihren berufsunfähigen Versicherten eine BU-Rente zahle. Die Police komme daher einem „Würfelspiel“ gleich, so die Kritik von Premium-Circle-Geschäftsführer Claus-Dieter Gorr. 

Makler Matthias Hellberg, Allianz-Sprecher Udo Rössler und der Versicherungsverband GDV ziehen die Beweislage, die der Tatort am Sonntagabend zur Berufsunfähigkeitsversicherung zusammenträgt, in Zweifel. Quelle: Twitter
autorAutor
Lorenz

Lorenz Klein

Lorenz Klein gehörte dem Pfefferminzia-Team seit 2016 an, seit 2019 war er stellvertretender Chefredakteur bei Pfefferminzia. Im Oktober 2023 hat Klein das Unternehmen verlassen, um sich neuen Aufgaben in der Versicherungsbranche zu widmen.

kommentare

Hinterlasse eine Antwort

kommentare

Hinterlasse eine Antwort