Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Gewerblichen Rechtsschutz bei der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte. © Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
  • Von Redaktion
  • 03.03.2021 um 18:33
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Die „spontane Anzeigeobliegenheit“ ist und bleibt in der Versicherungsbranche juristisch gesehen ein „heißes Eisen“. Denn in der Vermittler-Praxis stellt sich relativ häufig die Frage, was denn nun in einem Versicherungsantrag – unaufgefordert – anzugeben ist. Ein aktuelles Urteil hierzu, präsentiert der Hamburger Rechtsanwalt Björn Jöhnke in seinem Gastbeitrag.

Was ist geschehen?

Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei einer Versicherung eine private Krankenversicherung (PKV). Er beantragt die Erweiterung seiner PKV auf sein minderjähriges Pflegekind, bei dem eine kombinierte Entwicklungsstörung diagnostiziert ist. Den Antrag hat der Kläger dabei als Versicherungsvermittler des Anbieters selbst in das Computersystem der Versicherung aufgegeben.

Hierbei beantwortet der Kläger für den Versicherten (Pflegekind) die Fragen im Antragsformular nach dem Bestehen einer Pflegebedürftigkeit, einer Ataxie in den letzten fünf Jahren sowie nach ambulanten und stationären Behandlung wegen psychischen Erkrankungen in den letzten zwölf Monaten mit „Nein“. Die Versicherung nimmt daraufhin den Antrag an und stellt einen entsprechenden Versicherungsschein aus.

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Urteil zur BU-Versicherung

Ein Kreuzchen mit teuren Folgen

Wenige Monate danach wird bei dem Pflegekind ein fetales Alkoholsyndrom mit Mikrozephalie diagnostiziert. Die Versicherung erklärt daraufhin den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Der Kläger habe das fetale Alkoholsyndrom im Antragsformular nicht angegeben.

Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil legte der Kläger Berufung zum Landgericht (LG) Offenburg ein.

Die Entscheidung des LG Offenburg

Das Landgericht Offenburg hat der Berufung stattgegeben (Urteil vom 21. Februar 2020 – Aktenzeichen 2 S 6/18). Das Versicherungsverhältnis im vorliegenden Streitfall sei weder durch die Rücktrittserklärungen der Versicherung, noch aus sonstigem Grund beendet worden. Es bestehe demnach fort. Der Rücktritt des Versicherers, den dieser auf das vorgebliche Verschweigen des fetalen Alkoholsyndroms sowie der Mikrozephalie beim Versicherten stützte, sei unwirksam.

Keine Verletzung der Anzeigepflicht

Gemäß § 19 Abs. 2 VVG setzt das Rücktrittsrecht des Versicherers eine Verletzung der Anzeigepflicht im Sinne von § 19 Abs. 1 VVG durch den Versicherungsnehmer voraus. Nach dieser Regelung habe der Versicherungsnehmer bis zu Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen.

Eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit liege in diesem Fall jedoch nicht vor. Der Versicherungsnehmer sei nämlich nach den oben genannten Maßstäben bei Antragstellung nicht nach § 242 BGB spontan zur Anzeige der bereits vor Antragstellung diagnostizierten Entwicklungsstörung sowie des Verdachts einer irgendwie gearteten Alkoholspektrumstörung verpflichtet gewesen, da im Rahmen des § 19 VVG angesichts der gesetzlichen Vorgaben auch über erkennbar gefahrerhebliche Umstände keine Angaben zu machen seien, nach denen nicht gefragt wurde.

Das LG Offenburg führte weiter aus, dass der Versicherer es nach der gesetzlichen Konzeption vielmehr in der Hand habe, sich vorvertraglich durch konkrete Fragen an den späteren Versicherungsnehmer vor einer ihm als unsachgemäß empfundenen Inanspruchnahme zu schützen.

Vorliegend komme es nach Auffassung des Gerichts bei der Prüfung der Rücktrittsvoraussetzungen allein auf die Frage an, inwieweit von der Versicherung gestellte Gesundheitsfragen schuldhaft falsch durch den Versicherungsnehmer beantwortet wurden. Sei dies geschehen, stelle sich außerdem die Frage, ob die Versicherung gemäß § 21 VVG ihren Rücktritt innerhalb der Monatsfrist erklärt und hinreichend begründet hatte.

Keine Fragen im Antragsformular nach den diagnostizierten Erkrankungen

Der PKV-Anbieter habe jedoch im streitgegenständlichen Antragsformular nach dem Vorliegen eines fetalen Alkoholsyndroms sowie einer Mikrozephalie bei der zu versichernden Person gerade nicht gefragt, obwohl sowohl das fetale Alkoholsyndrom als grundsätzlicher, wie auch die Mikrozephalie als kategorischer Ablehnungsgrund bei der Versicherung im EDV-System hinterlegt sei.

Lediglich nach einer Pflegebedürftigkeit, nach dem Bestehen einer Ataxie in den letzten fünf Jahren sowie nach ambulanten oder stationären Behandlungen wegen einer psychischen Erkrankung habe der Versicherer gefragt, so feststellend das LG Offenburg.

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